Taub geboren: Neue Gentherapie soll Gehörlosen helfen

Gehörverlust betrifft weltweit rund 250 Millionen. Etwa die Hälfte der Betroffenen leidet an genetisch bedingten Hördefekten.

Eine Assistentin legt am Mittwoch in der Audiometrie des Universitätsklinikums Jena einem Patienten Elektroden an.

Mehr als hundert Gene beziehungsweise Mutationen von ihnen sind beteiligt. Hier könnte eine Gentherapie eventuell Hilfe bringen. US-Wissenschaftern gelang dies jetzt erstmals gut an Mäusen.

Zwei entsprechende Studien sind am Montag in „Nature Biotechnology“ erschienen. In der ersten Untesuchung konnten die Experten zeigen, dass man mit einer auf der Basis von Adenoviren entwickelten künstlichen „Genfähre“ (Anc80L65) sehr gut neue Geninformationen ins Innenohr in die Gehörschnecke (Cochlea) transferieren kann.

Die Studien erfolgten an einem Mausmodell. 80 bis 90 Prozent der sensorischen Haarzellen, für welche die neuen Geninformationen gedacht waren, wurden mit dem Vektor infiziert und bauten die neue Erbsubstanz – in diesem Fall noch ein Gen zur farblichen Markierung des Prozesses – in ihre DNA ein.

In der Cochlea befindet sich das mit feinen Haarzellen versehene Cortische Organ. Die Haarzellen wandeln die von außen kommenden Schwingungen in elektrische Signale um und geben diese über den Hörnerv an das Gehirn weiter.

An der Studie zu den synthetischen Gen-Vektoren hat auch der Wissenschafter Lukas Landegger mitgearbeitet, der früher an der HNO-Universitätsklinik in Wien (MedUni Wien/AKH) gewesen ist und jetzt in Boston forscht.

Den nächsten Schritt vollzog ein Wissenschafterteam um Gwenaelle Geleoc von der Harvard Medical School (Boston/USA). Die Experten erprobten die Technologie an Mäusen, die durch Genmodifikationen ab der Geburt am sogenannten Usher-Syndrom vom Typ 1c litten.

Das Usher-Syndrom ist beim Menschen eine relativ selten auftretende erblich bedingte Schädigung. In den USA leiden daran 16.000 bis 20.000 Menschen. Die Krankheit ist für drei bis sechs Prozent der Fälle von Taubheit im frühen Kindesalter verantwortlich.

Die Erkrankungsform vom Typ 1 ist die schwerste und mit zunehmendem Hörverlust, Schwindelzuständen durch schwächer werdenden Gleichgewichtssinn und zunehmenden Sehvermögen charakterisierte Variante.

Die einzige Gegenmaßnahme stellen bisher Innohrimplantate (Cochlearprothesen) dar, welche das Hörvermögen wieder herstellen können.

Nur für das Usher-Syndrom vom Typ 1c gibt es laut den Wissenschaftern um Gwenaelle Geleoc ein passendes Tiermodell bei Mäusen. Tieren, welche den entsprechenden Gendefekt aufwiesen, seien taub und würden Gleichgewichtsstörungen haben, schrieben die Experten.

Ein Monat nach der Geburt sei bereits ein Absterben der sensorischen Härchen im Innenohr zu sehen.

Um einen Effekt der Gentherapie zu zeigen, injizierten die Wissenschafter den Tieren „Genfähren“ mit den Genen der Proteine Harmonin-a1 oder Harmonin-b1 bzw. beider Proteine.

Ausschlaggebend für den Effekt war offenbar das Harmonin-b1-Gen. Jene Versuchstiere, die diese Erbanlage (mit oder ohne jener von Harmonin-a1) erhielten, zeigten zu einem hohen Anteil nach sechs Wochen ein erstaunlich gutes Hörvermögen, das an jenes von gesunden Tieren heranreichte (16 von 25 Tiere).

Gleichzeitig normalisierte sich in Versuchsanordnungen offenbar der Gleichgewichtssinn. Schließlich zeigte sich, dass die experimentelle Therapie auch die Zahl und das Aussehen der für die Umsetzung von akustischen in elektrische Impulse verantwortlichen Sinneshärchen im Innenohr weitgehend „reparierte“.

„Wenn man die in diesen Studien verwendete Virus-Technologie in die klinische Praxis (an Menschen; Anm.) überführen könnte, wäre das ein Durchbruch bei den Möglichkeiten zur Behandlung von genetisch bedingten Erkrankungen des Innenohres“, hieß es in einer Aussendung von „Nature Biotechnology“.

Quelle: Salzburger Nachrichten

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