Berlin – Zum morgigen Internationalen Tag der Pflege gibt es Rufe nach mehr Personal und einer höheren Wertschätzung für die Arbeit der Pflegekräfte. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) hat Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen morgen zu einer bundesweiten Protestaktion aufgerufen. Ziel ist es, auf die schlechte Personalsituation in Krankenhäusern aufmerksam zu machen.
„Die Beschäftigten lassen sich nicht mehr mit warmen Worten oder Mini-Pflege-Programmen abspeisen“, sagte Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Als Sofortprogramm hat Verdi von der Bundesregierung 20.000 Stellen in der Pflege gefordert. Das Bundeskabinett hatte im März beschlossen, ab 2019 gesetzliche Untergrenzen für die Personalausstattung in pflegesensitiven Bereichen der Krankenhäuser einführen zu wollen. „Das reicht uns nicht und kommt zu spät. Wir brauchen die große Lösung für alle Pflegebereiche und ein Sofortprogramm, damit abgestellt wird, dass eine Pflegefachkraft alleine auf den Stationen arbeiten muss. Das ist doch wohl das Mindeste“, betonte Bühler.
Langfristig brauche es aber nicht nur ein Sofortprogramm, sondern bundesweit verbindliche Vorgaben für die Personalausstattung sowohl in der Kranken- als auch in der Altenpflege. Bühler: „Wer es mit der Wertschätzung der Pflegeberufe ernst meint, muss die reale Arbeitssituation verbessern. Markt und Wettbewerb richten es nicht, der Gesetzgeber ist hier in der Verantwortung.“
Minister weist auf Neuregelungen hin
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verwies im Vorfeld des Gedenktages an die britische Krankenpflegerin Florence Nightingale auf den „Kraftakt zur Stärkung der Pflege“, der bereits gestemmt wurde. „Wir haben dafür gesorgt, dass mehr Pflegefachpersonal in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen eingestellt werden kann, die Zahl der zusätzlichen Betreuungskräfte in Pflegeeinrichtungen nahezu verdoppelt wurde, unnötige Bürokratie abgebaut und die Bezahlung der Pflegekräfte nach Tarif gestärkt wird“, so der Minister. Dieser Weg würde mit der Modernisierung der Pflegeausbildung, der Entwicklung eines Personalbemessungsverfahrens für die Altenpflege und von Personaluntergrenzen im Krankenhausbereich fortgesetzt.
Staatssekretär Karl-Josef Laumann (CDU), Patientenbeauftragter und Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung betonte den Wert der Pflegekräfte: „Die Arbeit unserer Pflegekräfte ist mit Gold nicht aufzuwiegen“, sagte er. Ohne sie würde das Gesundheitswesen in Deutschland nicht funktionieren.
Das sieht auch Georg Baum von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) so. „Ohne Pflegende geht in der Medizin gar nichts. Sie sind und bleiben Dreh- und Angelpunkt der Versorgung, sowohl bei Kranken daheim, im Pflegeheim und eben auch im Krankenhaus“, sagte der DKG-Hauptgeschäftsführer. Es betonte, die Personalsicherung im Pflegebereich zentrale Aufgabe der Kliniken sei. Ihm zufolge zeigten die Bemühungen der Krankenhäuser, die Pflegepersonalausstattung zu verbessern, bereits Wirkung: Die Zahl der Krankenhausmitarbeiter im Pflegedienst ist laut DKG in den vergangenen zehn Jahren von 393.186 (2005) auf 426.838 (2015) gestiegen.
Mehr Anerkennung notwendig
Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml (CSU) hat in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung von guten Arbeitsbedingungen in der Pflege hingewiesen. „Der Pflegeberuf muss attraktiver werden“, erklärte Huml. Nur so könnten künftig ausreichend qualifizierte und engagierte Pflegekräfte gewonnen werden. Der Mangel an Nachwuchskräften sei eines der dringlichsten Themen in der Pflege, sagte die Ministerin und fügte hinzu: „Für gute Arbeitsbedingungen sind in erster Linie Arbeitgeber und Gewerkschaften verantwortlich.“ Klar sei allerdings auch: „Wir brauchen mehr gesellschaftliche Anerkennung für den Pflegeberuf.“
Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) will pflegende Angehörige besser entlasten. „Pflegende Angehörige leisten einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag und benötigen deshalb in besonderer Weise Unterstützung und Entlastung“, betonte sie. Dies sei auch ein wichtiger Erfolgsfaktor im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte. „Betriebe müssen gute Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege schaffen, wenn sie mittel- und langfristig nicht auf erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verzichten wollen“, so Hoffmeister-Kraut. Als Beispiele nannte die Ministerin flexible Arbeitszeiten sowie örtlich flexible Arbeitsmodelle.
Bundesweite Kritik an Personalmangel
Die Linke aus Nordrhein-Westfalen (NRW) machte im Vorfeld des Gedenktages auf Missstände in dem Bundesland aufmerksam. „NRW ist den Aufgaben, die sich aus dem erwarteten Anstieg der Pflegebedürftigkeit ergeben, nicht gewachsen“, sagte Christian Leye, Landessprecher der NRW-Linken. So fehlten allein in NRW rund 40.000 Pflegekräfte. Bundesweit sehe es keineswegs besser aus. „Der Personalmangel gefährdet die Gesundheit der Patientinnen und Patienten wie der Pflegekräfte“, so Leye. Ähnliche Zustände bestünden in der Altenpflege. Viele Beschäftigte mache die Überlastung krank.
Niedriglöhne und Teilzeitverträge führten trotz harter Arbeit in die Altersarmut. „Das alles sind vollends inakzeptable Zustände, denn sie gehen auf Kosten derjenigen Menschen, die dringend auf Pflege und Unterstützung angewiesen sind“, kritisierte Leye. Er forderte deshalb eine gesetzliche Personalbemessung, um den Personalnotstand zu bekämpfen und die bundesweit notwendigen 100.000 Pflegekräfte einzustellen.
Auch Bündnis 90/Die Grünen haben Kritik geübt. „Schwarz-Rot hat mit den drei Pflege-Stärkungsgesetzen die großen Probleme der Pflegekräfte noch immer nicht gelöst“, sagte Elisabeth Scharfenberg, Franktionssprecherin für Pflege- und Altenpolitik. Die Reformen würden den heute schon dramatischen Personalmangel in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und -diensten sogar noch verschärfen. „Für mehr Pflegeleistung brauchen wir mehr Personal. Und das fehlt heute schon. Ohne ausreichend Personal sind diese Reformen zum Scheitern verurteilt“, so Scharfenberg.
Die Partei fordert deshalb die schnellstmögliche Entwicklung und Einführung verbindlicher Personalbemessungsverfahren in Kliniken, Pflegeeinrichtungen und -diensten. Zudem müsse die Entbürokratisierung der pflegerischen Tätigkeiten vorangetrieben werden. „Außerdem fordern wir mehr Mitbestimmungsrechte für die Pflegekräfte in der Selbstverwaltung“, so die Sprecherin.
bpa: Mehr in Ausbildung und Umschulung investieren
Der thüringische Landesverband des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) hat angemahnt, weiter in Ausbildung und Umschulung zu investieren. „Auch wenn die Zahl der Neueinstellungen in Pflege- und Gesundheitsberufen 2016 weit über dem Durchschnitt anderer Berufsfelder in Thüringen lag, dürfen wir nicht nachlassen“, sagte Margit Benkenstein, thüringische Landesvorsitzende des bpa.
Der Bundesverband Kinderhospiz (BVKH) hat unterdessen auf die schwerwiegenden Folgen des Pflegenotstands in der Kinderkrankenpflege aufmerksam gemacht: Familien, deren Sohn oder Tochter unheilbar krank ist und absehbar sterben wird, leiden dem Verband zufolge besonders unter dem Fachkräftemangel bei ambulanten Pflegediensten, weil sie bei der Versorgung ihrer Kinder viel zu oft alleine gelassen werden. Deshalb fordert der Verband, dass die Kinderkrankenpflege als Berufsfeld deutlich attraktiver werden muss.
„Wir dürfen als Gesellschaft nicht länger zusehen, wie betroffene Eltern mit der Pflege ihrer lebensverkürzend erkrankten Kinder alleine gelassen werden“, mahnte BVKH-Geschäftsführerin Sabine Kraft. Diese Misere habe sich über Jahre entwickelt, bis heute gebe es keine nachhaltige politische Lösung für den Notstand in der Kinderkrankenpflege. „Das dürfen wir nicht länger hinnehmen“, erklärte sie.
Quelle: aerzteblatt.de, 11.05.2017