Multiresistente Keime; Pharmaindustrie vernachlässigt Antibiotika-Entwicklung

Die Medizin benötigt dringend neue Antibiotika, doch die Forschung stockt. Der Grund: Die Entwicklung neuer Antibiotika ist für viele Pharmaunternehmen schlicht nicht lukrativ genug.

Der Fall sorgte für Aufregung: Eine Rentnerin aus den USA hatte sich mit einem multiresistenten Keim infiziert, wahrscheinlich bei einem Aufenthalt in Indien. Alle Versuche, sie mit einem der 26 in den USA zugelassenen Antibiotika zu behandeln, blieben wirkungslos. Die Frau starb letztlich an einer Blutvergiftung.

Auch wenn es sich beim Schicksal der Patientin um einen Extremfall handelt – multiresistente Erreger bringen herkömmliche Antibiotika immer weiter an ihre Grenzen. Helfen könnten neue Präparate, die nur zum Einsatz kommen, wenn bewährte Mittel versagen. Doch die Forschung kommt kaum voran.

Der Hauptgrund: Für die Pharmaunternehmen ist die Entwicklung neuer Antibiotika wenig lukrativ. Mit Volkskrankheiten wie Diabetes oder kostspieligen Krebsbehandlungen lässt sich deutlich mehr Gewinn erwirtschaften als mit den Mitteln, die üblicherweise nur für wenige Tage verschrieben werden und möglichst selten zur Anwendung kommen sollten.

„Von den Krankheitserregern in die Enge gedrängt“

„Wir sind dabei, von den Krankheitserregern in die Enge gedrängt zu werden“, sagt Kim Lewis, Antibiotika-Forscher an der Northeastern Universität in Boston. Seit die bislang letzte neue Antibiotika-Klasse auf den Markt gekommen ist, sind rund 30 Jahre vergangen. Genug Zeit für die Bakterien, um Wege zu entwickeln, den Wirkstoffen zu entgehen.

Bereits 2014 warnte die Weltgesundheitsorganisation WHO vor einer weltweiten Bedrohung durch Antibiotika-Resistenzen. Ohne geeignete Maßnahmen stehe die Welt vor einer „post-antibiotischen Ära“, in der gewöhnliche Infektionen und leichte Verletzungen wieder tödlich enden könnten, so die WHO.

Vor allem im Krankenhäusern sind multiresistente Erreger ein wachsendes Problem. Allein für Deutschland geht das Bundesgesundheitsministerium von 400.000 bis 600.000 Patienten aus, die sich jedes Jahr mit einem Klinikkeim infizieren. 10.000 bis 15.000 Menschen sterben den Schätzungen zufolge daran.

Zehn Jahre bis zur Marktreife

Während in den Achtzigerjahren noch viele große Pharmaunternehmen aus den USA und Europa in der Antibiotika-Forschung tätig waren, sind es heute mit Sanofi, GlaxoSmithKline, Merck & Co., Roche sowie Novartis nur noch eine Handvoll. Die deutschen Pharmariesen Bayer und Merck haben sich bereits vor Jahren aus dem Bereich verabschiedet.

Unter den deutschen Firmen forschen nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa) lediglich zwei nach neuen Antibiotika: die Hamburger Evotec sowie die Wuppertaler AiCuris, die vor gut zehn Jahren als Spin-off aus der Antibiotika-Forschung von Bayer entstand. Doch bis aus deren Laboren ein neues Antibiotikum auf den Markt kommen könnte, dürften noch viele Jahre vergehen.

Evotec befindet sich mit seinen Projekten derzeit noch in der präklinischen Prüfung, die ein neuer Wirkstoff durchläuft, bevor er am Menschen erprobt werden kann. Das Antibiotikum von AiCuris steckt in der ersten von drei Phasen der klinischen Entwicklung. „Wir sprechen da von Zeiträumen von rund zehn Jahren, bis ein neues Antibiotikum auf den Markt kommt“, sagt AiCuris-Chef Holger Zimmermann.

4,7 Milliarden für patentgeschützte Antibiotika

Ex-Bayer-Chef Marijn Dekkers hatte bereits vor zwei Jahren moniert, ohne staatliche Unterstützung gebe es zu wenige Anreize, neue Antibiotika für den Einsatz gegen multiresistente Keime zu entwickeln. Die Bundesregierung setzt im Kampf gegen Resistenzen unter anderem auf mehr Kooperationen zwischen universitären Einrichtungen und der Industrie.

Mit dem geplanten Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung sollen zudem dringend benötigte Reserve-Antibiotika, die im Notfall gegen resistente Keime eingesetzt werden, bei der Vergütung besser gestellt werden. Auch die Entwicklung von Schnelltests zur zielgenauen Anwendung von Antibiotika soll gefördert werden.

Der Weltmarkt für Antibiotika ist zwar mit Jahresumsätzen von rund 40 Milliarden Dollar relativ groß. Davon werden jedoch nur etwa 4,7 Milliarden mit patentgeschützten Antibiotika erzielt – weniger als der Jahresumsatz nur eines der weltweit umsatzstärksten Krebsmedikamente.

„Der Antibiotika-Markt liefert nicht die Milliarden-Einnahmen“

Nach Angaben des vfa kann alleine die Entwicklung eines neuen Antibiotikums bis zu 1,5 Milliarden Euro kosten. Um die Forschung anzukurbeln, stellt das Bundesforschungsministerium jährlich zumindest rund 27 Millionen Euro für zeitlich befristete Projekte zur Verfügung. Das Angebot steht auch Unternehmen offen, aktuell werden jedoch keine größeren Industrieprojekte gefördert.

Die mangelnde Finanzkraft bekommt auch die Wissenschaft zu spüren: Forscher der Universität Würzburg haben einen Antikörper entdeckt, der resistente Bakterien bekämpfen soll. „Wir haben den Antikörper seit zwei Jahren fertig entwickelt und könnten direkt mit der klinischen Erprobung beginnen“, sagt Knut Ohlsen vom Institut für Molekulare Infektionsbiologie der Uni Würzburg. Allein – es fehlt an Geld.

„Wir sind seit Jahren auf der Suche nach Kapitalgebern“, erklärt Ohlsen und bringt das Problem auf den Punkt: „Je wirksamer und spezifischer ein Mittel ist, desto weniger Geld kann man damit verdienen. Der Antibiotika-Markt liefert nicht die Milliarden-Einnahmen, die sich ein Pharmakonzern oder ein Investorenkonsortium vorstellen.“

Quelle: Spiegel Online irb/Reuters

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