Herz und Niere könnten schon bald aus dem 3D-Drucker kommen

Einem Team aus Forschern und 16 Studenten der Technischen Universität München (TUM) und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ist auf dem Weg zum Herz per Knopfdruck jetzt ein wegweisender Schritt gelungen. Sie haben Gewebe aus lebenden Zellen mit dem 3D-Drucker geschaffen – mit einem fundamental neuen Verfahren

Quelle: Hans-Rudolf Schulz

Organe aus dem 3D-Drucker? Klingt wie Science Fiction. Doch nun sind Münchner Forscher diesem Ziel, das Tausende Leben retten und die Medizin revolutionieren würde, ein wichtiges Stück näher gekommen.

 

Der Patient kämpft mit dem Tod: Sein Herz ist zu schwach. Nur ein neues Organ kann ihn retten. Im OP laufen bereits die Vorbereitungen für die Transplantation. Noch ein paar Stunden, dann ist es fertig ausgedruckt, das neue, das künstliche Herz. Designt von einem 3D-Drucker aus körpereigenen Stammzellen, entnommen aus dem Beckenknochen des Kranken.

Was klingt wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film, ist eine Vision, die Münchner Wissenschaftler für durchaus realisierbar halten. Bio-Printing nennt sich das Drucken von lebenden Zellen. Ein Verfahren mit dem Potenzial, die Medizin zu revolutionieren und unzählige Leben zu retten.

In Deutschland warten Tausende auf ein neues Organ

Einem Team aus Forschern und 16 Studenten der Technischen Universität München (TUM) und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ist auf dem Weg zum Herz per Knopfdruck jetzt ein wegweisender Schritt gelungen. Sie haben Gewebe aus lebenden Zellen mit dem 3D-Drucker geschaffen – mit einem fundamental neuen Verfahren.

Allein in Deutschland warten mehr als 10.000 Menschen auf ein neues Organ. Doch nur jedem Dritten kann überhaupt geholfen werden. Durch den im Jahr 2012 publik gewordenen Organspende-Skandal an mehreren Deutschen Krankenhäusern hat sich der ohnehin schon dramatische Mangel an Spenderorganen wie Herzen, Lebern, Lungen oder Nieren in den letzten Jahren nochmals gravierend verschärft – auch in Bayern.

Damals wurde bekannt, dass auch in München und Regensburg Mediziner Krankenakten gefälscht hatten, um ausgewählte Patienten bevorzugt mit Spenderorganen zu versorgen. Im Jahr 2015 haben die Kliniken im Freistaat nur 108 Organverpflanzungen durchgeführt. In den Jahren vor dem Skandal waren es rund 140 Transplantationen.

„Unsere Methode könnte es ermöglichen, komplette Organe herzustellen“, sagt Professor Arne Skerra  vom Lehrstuhl für Biologische Chemie der Technischen Universität München, mit Doktorand Andreas Reichert am biotINK- Gewebedrucker

Quelle: Hans-Rudolf Schulz

Organe aus dem Bio-Printer hingegen wären nicht nur perfekt auf den vorgesehenen Körper abgestimmt, sondern auch stets verfügbar. Niemand müsste mehr sterben, damit ein anderer überleben kann. Für Wissenschaftler aus aller Welt ist dies ein enormer Anreiz, um an der Entwicklung von menschlichen Organen zu arbeiten.

„Unsere Methode könnte es ermöglichen, komplette Organe herzustellen“, sagt Professor Arne Skerra vom TUM Lehrstuhl für Biologische Chemie. Er ist überzeugt: „In zehn bis 20 Jahren ist die erste künstliche Niere wahrscheinlich machbar.“

Knochen aus dem Drucker? Längst Stand der Technik

Der Druck von Knorpeln, Zahnersatz oder Knochen, vor allem nicht lebendem biologischen Material, ist bereits Stand der Technik. „Auf dem Weg zum Druck komplexer Zellverbände hingegen sind noch wesentliche Hürden zu bewältigen“, sagt Skerra, Spezialist auf dem Gebiet des Protein-Designs. Um die gewünschte Form – sei es die eines Ohres oder gar einer Niere – zu erzielen, wurde bislang erst ein gelatineartiges Gerüst aus sogenanntem Hydrogel produziert und in einem zweiten Schritt mit Zellen besiedelt.

„Wir wollten ohne eine solche Stützmatrix auskommen und die Zellen von vorneherein in die richtige, dreidimensionale Form bringen“, erklärt Skerra den Ansatz seiner Methode. Das Ziel wurde bereits erreicht – mit einem umgebauten 3D-Drucker und einer völlig neuartigen Biotinte.

Der Drucker, ein weißer, von innen beleuchteter Kasten, steht im Labor von Skerras Lehrstuhl in Weihenstephan und ist nicht viel größer als ein Schuhkarton. Doch sein Innenleben hat es in sich. Die Studenten haben das handelsübliche Gerät so umgebaut, dass es nicht mit Kunststoff, sondern mit lebenden Zellen druckt.

Der Clou: biochemischer Zweikomponentenkleber

„Damit wird der 3D-Plastikdrucker zum 3D-Biodrucker“, erklärt Skerra und legt zur Veranschaulichung ein Kunstherz in das Gerät. Aus der feinen Nadel in der Mitte des beweglichen Druckkopfs tropft die preisgekrönte Entdeckung des Teams: die sogenannte „bioInk“. „Das ist eine Art biochemischer Zweikomponentenkleber“, sagt der 55-Jährige. Die eine Komponente bestehe aus mit Biotin beladenen Zellen in einer Nährflüssigkeit. Die andere Komponente enthalte eine konzentrierte Lösung des Proteins Streptavidin. Dieses Protein sei dann in der Lage, das Biotin zu binden.

„In dem Moment, in dem die Zellen in das Bad mit der zweiten Klebekomponente gedruckt werden, bleiben sie nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip aneinander kleben und an Ort und Stelle sitzen“, erläutert Skerra und fügt hinzu: „Nach unserer Erwartung ist das die beste Ausgangsvoraussetzung, damit die Zellen anschließend selbst eine natürliche Stützmatrix synthetisieren, und so im Laufe der Zeit aus dem losen Zellverband ein richtiges dreidimensionales Organ wird.“ In dieser Weise habe das noch niemand vorher gemacht.

Auszeichnung für das in München entwickelte Verfahren

Das unter Skerras Anleitung entwickelte Verfahren wurde kürzlich ausgezeichnet: Die Münchner Nachwuchsforscher gewannen damit in den USA den ersten Preis beim international Genetically Engineered Machine (iGEM) Wettbewerb – einer Art akademischer Weltmeisterschaft auf dem Gebiet der Synthetischen Biologie.

300 Finalistenteams, davon zwölf aus Deutschland, traten in Boston an. Das Münchner Team mit Studenten aus den Fachrichtungen Molekulare Biologie und Ingenieurswissenschaften, überzeugte die Expertenjury. „Das war ein genialer Moment und sehr bewegend“, erzählt der 31-jährige Doktorand Andreas Reichert über die Preisverleihung Ende Oktober. Er hatte die wissenschaftliche Aufsicht über das auf sechs Monate angelegte und eigens für den renommierten Wettbewerb entworfene Projekt. Ein Vollzeitjob.

Ein Leben an der Dialyse oder das Risiko sich mit einer gefährlichen Krankheit zu infizieren? Die Amerikanerin Irma Hendricks hat sich für die Transplantation einer mit Hepatitis C infizierten Niere entschieden.

Rund 50.000 Euro hat die von den beiden Münchner Universitäten, einem Graduiertenkolleg und verschiedenen Sponsoren geförderte Forschungsarbeit gekostet. Allein die Hälfte davon ging für die Teilnahmegebühr und die Reisekosten in die USA drauf. Nun hoffen Doktorand Andreas Reichert und Professor Arne Skerra, dass biopharmazeutische Labors die Technologie weiterentwickeln und vielleicht eine Kooperation eingehen.

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht: Dem Bioprinting-Markt wird eine erhebliche Steigerung prophezeit. Das Marktforschungs- und Konsultingunternehmen P&S Market Research rechnet damit, dass die Branche von 2016 bis 2022 eine Wachstumsrate von mehr als 35 Prozent verzeichnen wird. Im Jahr 2015 betrug der Umsatz im Bioprinting dem Bericht des Unternehmens zufolge insgesamt 100 Millionen Dollar. Führend in der Branche sind Unternehmen wie Organovo aus Kalifornien, Cyfuse aus Japan und das russische Unternehmen 3D Bioprinting Solutions.

Schon bald könnte gedrucktes Gewebe Unfallopfern helfen

„Was wir gemacht haben, ist Grundlagenforschung“, so der Münchner Professor. Bis zur Anwendungsreife müsse noch sehr viel passieren. Die Forschungsergebnisse seien jedoch für jeden frei einsehbar und verwendbar. Ein Patent wurde nicht angemeldet. „Wir hoffen natürlich, dass unser Verfahren nicht in der Schublade landet, sondern aufgegriffen wird.“

Er ist überzeugt: „Einfache Gewebe, die nur aus wenigen verschiedenen Zelltypen bestehen, wie beispielsweise Haut, könnten schon in einem Zeitrahmen von fünf Jahren in der Humanmedizin zum Einsatz kommen. Das Gewebe könnte Verbrennungsopfern oder Patienten nach einem Unfall helfen.

Experten aus dem zellmedizinischen Bereich seien jetzt gefragt. „Unser Beitrag ist der Kleber, jetzt müssen andere damit die richtigen Zelltypen zusammenkleben und zum Wachsen bringen“, so Skerra.

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