Peter Ackermann ist reich. Sein Vermögen hat er sich als Anwalt und Unternehmer selbst erarbeitet. 1938 in eine Berliner Familie von Pfarrern und Soldaten geboren, musste er während des Zweiten Weltkriegs und danach auf vieles verzichten. Das hat ihn geprägt. „Mein Ziel war schon früh, irgendwann mal zu den Wohlhabenden zu gehören“, sagt er heute. Er hat es geschafft.
Davon träumt wohl jeder. Doch Erfolgsgeschichten wie die von Ackermann sind in Deutschland inzwischen selten. Stattdessen zählt immer mehr, in welche Familie man geboren wird. Forscher der Universität Potsdam befragten im vergangenen Jahr 150 Wohlhabende mit einem Vermögen von mindestens einer Million Euro. Zwei Drittel gaben an, dass Erbschaften und Schenkungen ein wesentlicher Grund für ihr Vermögen seien.
Weil fast immer diejenigen erben, denen es sowieso schon gut geht, verstärken Erbschaften die Ungleichheit in der Gesellschaft. „Haushalte mit einem hohen Einkommen erhalten in der Regel hohe Erbschaften und Schenkungen, denn Kinder haben meistens einen ähnlichen sozialen Status wie ihre Eltern“, sagt Anita Tiefensee, die für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung zu Erbschaften, Vermögen und Einkommen forscht. Oder anders: Wer sowieso schon gut verdient, bekommt noch ein Erbe obendrauf.
In Deutschland wird immer mehr vererbt
Dieser Effekt wird sich in Deutschland in den kommenden Jahren besonders bemerkbar machen, weil zurzeit mehr vererbt wird als je zuvor: 400 Milliarden Euro jedes Jahr, haben Tiefensee und ein Kollege vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vor Kurzem ausgerechnet. Für einige Deutsche zahlt sich jetzt eine Entwicklung aus, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann.
Damals hatten viele Deutsche fast alles verloren. Doch ab den fünfziger Jahren ging es wirtschaftlich steil bergauf, das sogenannte Wirtschaftswunder. Jobs waren sicher und gut bezahlt. Sozialer Aufstieg war für viele möglich. Auch für Peter Ackermann. Er studierte Jura in Westberlin, eröffnete eine Kanzlei. Zog nach London, gründete eine Softwarefirma. Es lief gut. So gut, dass auch für Ackermanns Kinder noch einiges übrig bleiben wird.
In der DDR gab es kein Wirtschaftswunder
„Fast die gesamte westdeutsche Bevölkerung hat etwas angespart“, sagt Timm Bönke, Professor für Finanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Von dem Ersparten machten sich einige einen schönen Lebensabend. Andere steckten es in ein Eigenheim oder hinterließen ihren Kindern gut gefüllte Konten. Im Unterschied zu ihrem Vater damals müssen sich Ackermanns Kinder um Geld keine Sorgen machen. „Ich verwöhne meine Kinder nicht besonders“, sagt er. „Aber sie sind anständig versorgt und werden auch nicht verhungern, wenn sie mal vom Gerüst fallen sollten.“
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Doch das Wirtschaftswunder gab es nur in Westdeutschland. In der DDR verhinderte eine sozialistische Diktatur, dass sich die Bevölkerung ein Vermögen aufbauen konnte. Hätte Peter Ackermann wenige Kilometer weiter östlich gewohnt, wäre er heute wahrscheinlich kein Millionär.
Das Wirtschaftswunder ist lange vorbei, die deutsche Wirtschaft wächst seit Jahrzehnten um weniger als fünf Prozent. Dazu kommt die Globalisierung. Arbeitskräfte konkurrieren heute nicht nur mit anderen Deutschen, sondern mit der ganzen Welt. Das gilt vor allem für gering Qualifizierte. Und es trägt dazu bei, dass die Löhne so langsam steigen, dass sie gerade mal die Inflation ausgleichen.
Von der Globalisierung profitieren vor allem die Reichen
Außerdem sind Arbeitsverträge heute viel öfter befristet als früher. Ein unbefristeter Job ist in der Regel aber Bedingung für einen Kredit, mit dem man sich eine Immobilie leisten könnte. Schlechte Voraussetzungen, um allein durch Arbeit ein Vermögen aufzubauen. „Die globalen Trends bevorzugen Kapital gegenüber Arbeit“, sagt Bönke. „Von Globalisierung und technologischem Fortschritt profitieren besonders die Menschen mit großem Kapitaleinkommen.“ Das kleine Wirtschaftswachstum komme nur noch bei den oberen 30 Prozent an.
Ein weiterer Faktor ist, dass die Häuser, die nach und nach vererbt werden, heute einen erheblichen Unterschied im Wert haben. Wer ein Haus auf dem Land erbt und dort nicht wohnen möchte, hat wenig davon. Wer ein Haus in einer Großstadt erbt, hat teilweise ausgesorgt. Weil ständig mehr Menschen in die Ballungszentren ziehen und auch auf dem Immobilienmarkt inzwischen die ganze Welt mitbietet, sind die Preise dort explodiert.
Aktien sind für die meisten Deutschen keine Option
Wer heute ein Vermögen aufbauen will und kein Top-Manager ist, müsste eigentlich in Aktien investieren. Doch für die haben sich die sicherheitsorientierten Deutschen noch nie wirklich interessiert: zu viel Risiko.
Im Unterschied zur Zeit des Wirtschaftswunders entsteht Vermögen heute vor allem aus Vermögen. „Früher machten Kapitaleinkommen 20 Prozent des Volkseinkommens aus, heute sind es 30 Prozent“, sagt Bönke. „Für den Großteil der Bevölkerung ist es viel schwieriger geworden, allein durch Arbeit ein größeres Vermögen aufzubauen.“
Arme und Reiche gab es schon immer. Im Kapitalismus können sich die meisten Menschen damit arrangieren, weil sie davon träumen, irgendwann zu den Reichen aufzusteigen. Oder ihren Kindern den Weg zum Wohlstand zu ebnen. Sie vertrauen darauf, dass jeder zumindest eine kleine Chance darauf hat und dass sich Leistung auszahlt. Beides ist in Deutschland gerade fraglich. Der Staat unterstützt diese Entwicklung durch niedrige Steuern auf Kapitalerträge und Erbschaften.
Erbschaften werden kaum besteuert
Bis zu 400.000 Euro kann ein Elternteil steuerfrei an seine Kinder vererben oder verschenken, beide Eltern zusammen also 800.000 Euro. Und zwar alle zehn Jahre. Fangen reiche Eltern gleich bei der Geburt an, ihr Vermögen ihrem Kind zu übertragen, können sie ihm schon 2,4 Millionen Euro übertragen haben, wenn es 20 Jahre alt ist. Steuerfrei. So können Erben 80.000 Euro im Jahr erhalten, ohne davon etwas an den Staat abführen zu müssen. Erben funktioniert hierzulande nicht nur nach dem Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. Sondern auch: Wem gegeben wird, wird nicht genommen.
Den Sozialstaat finanzieren vor allem die Bürger, die für ihr Einkommen arbeiten. Ein Single, der 80.000 Euro verdient, muss 26 Prozent Lohnsteuer abführen. Wer also durch Arbeit etwas verdient, muss ein Viertel davon an die Gemeinschaft abführen. Wer in die richtige Familie geboren wird, darf den Reichtum seiner Eltern oft ganz für sich behalten.
Ungleichheit gefährdet die Demokratie
„Ich bin großer Befürworter der drastischen Erbschaftsbesteuerung“, sagt Millionär Ackermann. „Aber alle Wähler träumen davon, dass sie mal viel verdienen.“ Und dann wollten sie nicht, dass der Staat ihnen oder ihren Kindern etwas davon abnimmt.
Ackermann fürchtet, dass die deutsche Gesellschaft immer ungleicher und ungerechter wird. „Demokratie kann nur funktionieren, wenn jeder weiß, dass das eigene Wohlergehen untrennbar mit dem der Gesellschaft zusammenhängt“, sagt Ackermann. „Das geht nur, wenn die Menschen durch Leistung aufsteigen können.“ So wie er selbst.
Die Ungleichheit wird mit jeder Generation größer
Dass solche Karrieren kaum noch möglich sind, könne auch für die Wirtschaft zum Problem werden, sagt Forscher Bönke: „Wer sieht, dass die anderen einen Vorsprung haben, den man nicht mehr aufholen kann, ist weniger leistungsbereit.“ Das könne im Extremfall sogar dazu führen, dass man versucht, Vermögen kriminell anzuhäufen. „Der Umgang mit Erbschaften stellt daher auch Wirtschaftsliberale seit jeher vor das Dilemma, ob der Staat in die Erbschaftsverteilung eingreifen sollte“, sagt Bönke. „Denn große Erbschaften und Chancengleichheit, das verträgt sich nicht.“
In den kommenden Jahren werde immer mehr vererbt und dadurch werde die Ungleichheit erneut weiter steigen, vermutet Bönke. „Ungleiche Vermögen führen zu ungleichen Einkommen und die wieder zu ungleichen Vermögen.“ Dieser Effekt verstärke sich von Generation zu Generation.
Privilegien sollte man sich erarbeiten müssen
Peter Ackermann versucht, diesem Trend entgegenzuwirken. Statt sein ganzes Vermögen zu vererben, hat er eine Stiftung gegründet und sie mit mehreren Millionen Euro ausgestattet. Die Kreuzberger Kinderstiftung setzt sich für die Bildung von Jugendlichen ein und fördert ihr Engagement. Zum Beispiel ermöglicht sie Realschülern, ein Jahr im Ausland verbringen – ein Privileg, das sonst meist nur Gymnasiasten vorbehalten ist. Ackermann konnte dank eines Stipendiums ein Schuljahr in Kalifornien verbringen. Das habe sein Leben entscheidend geprägt, erzählt er.
„Die Ungleichheit ist schon rasend groß geworden“, sagt Ackermann. Die Menschen seien bereit, Ungleichheit auszuhalten – aber nur, wenn die Privilegien nicht angeboren, sondern erarbeitet wurden. „Die junge Generation muss dafür eine Lösung suchen.“
Quelle: Zeit online, 07.08.2017