Medikamente dürfen nur an schwer Demenzkranken getestet werden, wenn diese auch einen Nutzen davon haben. Ein neues Gesetz, über das der Bundestag diese Woche berät, soll das ändern. Die wichtigsten Fakten.
Dürfen Patienten an Studien teilnehmen, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, selbst einzuwilligen? Mit dieser Frage beschäftigt sich diese Woche erneut der Bundestag. Von dem Vorstoß betroffen sind unter anderem die 1,6 Millionen Menschen in Deutschland, die an Demenz erkrankt sind.
Eigentlich sollte das Gesetz bereits Anfang Juni verabschiedet werden. Weil jedoch mehrere Abgeordnete, auch aus den Regierungsparteien CDU und SPD, ethische Bedenken anmeldeten, wurde der Termin verschoben. Nach einer erneuten Beratung am Mittwoch soll nun am Freitag eine Entscheidung fallen. Der Fraktionszwang ist dabei aufgehoben.
Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Welche Regeln gibt es bislang?
Bislang dürfen Therapien vor allem an Patienten erprobt werden, die noch in der Lage sind, der Studienteilnahme zuzustimmen. Sie müssen den Studienaufbau, die Zielsetzung sowie Risiken und Nebenwirkungen abschätzen können. Das kann bei einer Demenz im Anfangsstadium noch der Fall sein, bereits bei mittelschwerer Ausprägung erfüllen jedoch nur wenige Patienten diese Voraussetzungen.
Sind die Erkrankten nicht mehr in der Lage, selbst zu entscheiden, gelten verschärfte Regeln: Teil eines Forschungsprojekts dürfen sie dann nur sein, wenn ihnen die Teilnahme möglicherweise selbst nutzt – etwa weil eine neue Therapie erprobt wird oder sie eine besonders intensive medizinische Betreuung während der Studie bekommen. Dann kann der gesetzliche Betreuer die Einwilligung geben.
Was soll sich ändern?
Geht es nach Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), soll es künftig möglich sein, schwer Demenzkranke unter strengen Auflagen in medizinische Studien einzubeziehen, die für sie keinen direkten Nutzen haben. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Krankheit bereits zu weit fortgeschritten ist.
Voraussetzungen dafür wären zwei Punkte:
- Erstens müssten die Teilnehmer, als sie noch zustimmungsfähig waren, in einer Patientenverfügung festgehalten haben, dass sie einer späteren gruppennützigen Forschung zustimmen.
- Zweitens müsste der gesetzliche Betreuer nach umfassender Aufklärung über die Studie einwilligen, dass der Demenzkranke teilnimmt.
Zum Gesetzentwurf der Regierung liegen derzeit drei fraktionsübergreifende Änderungsanträge vor:
- Einer von ihnen sieht vor, dass die gruppennützige Forschung, wie zunächst geplant, erlaubt wird, wenn Patienten vor dem Aufsetzen der Patientenverfügung eine ärztliche Beratung angeboten wird.
- Der zweite Entwurf will die ärztliche Beratung zur Pflicht machen.
- Die Abgeordneten Uwe Schummer (CDU), Ulla Schmidt (SPD), Kathrin Vogler (Linke) und Kordula Schulz-Asche (Grüne) wollen die bisherige restriktive Regelung behalten.
Warum wird das Gesetz jetzt geändert?
Grundlage der Gesetzesinitiative ist eine EU-Verordnung, die 2018 in Kraft treten soll. Demnach sollen klinische Studien mit nicht einwilligungsfähigen Patienten erlaubt werden, auch, wenn sie den Patienten möglicherweise nichts mehr nutzen. Eine Ethikkommission soll dann entscheiden. Allerdings dürfen die EU-Staaten auf nationaler Ebene strengere Regeln einführen. Das neue deutsche Gesetz wäre ein Kompromiss zwischen der bislang strengen Regelung im Land und der liberalen EU-Verordnung.
Was spricht dagegen?
Gegner der Novelle sprechen von einem Dammbruch. Einige ziehen gar Vergleiche mit menschenunwürdigen Versuchen zur NS-Zeit.
Bei einer Fachanhörung im Bundestag sprachen sich auch einige Mediziner gegen die Neuregelung aus. Sie argumentierten, man könne erfolgsversprechende Studien bereits jetzt durchführen, die Neuregelung sei daher überflüssig. Andere sagen, man könne einer Studie grundsätzlich erst dann zustimmen, wenn man wisse, worum genau es darin geht, welche Rolle man selbst spielt und welche Risiken es gibt.
Die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft weist darauf hin, dass Demenzkranke besonders schutzbedürftige Menschen seien, die ihre Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr widerrufen können. Die Betreuer könnten dadurch in einen Zwiespalt geraten. Auch die Behindertenverbände halten es für schwierig, den aktuellen Willen von Dementen zu ermitteln.
Die Kirchen sehen in der Novelle einen Verstoß gegen die Menschenwürde und warnen davor, dass „der Mensch zum bloßen Objekt herabgestuft und benutzt wird“. Andere Kritiker wie die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese halten Arzneitests an nicht einwilligungsfähigen Menschen generell nur für akzeptabel, wenn diese selbst einen Nutzen davon haben.
Was spricht für die Änderung?
Fachleute argumentieren, dass sich Ergebnisse aus Arzneimitteltests in früheren Krankheitsstadien nicht einfach auf spätere Erkrankungsphasen übertragen lassen. Daher seien mehr Studien an schwer Erkrankten nötig.
Gesundheitsminister Gröhe verweist zudem darauf, dass auch das neue Gesetz enge Grenzen hat. Eine Studie müsse weiterhin sofort abgebrochen werden, wenn der Patient erkennen lässt, dass er nicht weiter einverstanden ist.
Laut dem Gesetz müssten Tests zudem immer zunächst an einwilligungsfähigen Patienten stattfinden. Die Studien müssten weiterhin von einer Ethikkommission geprüft werden. Das neue Gesetz sieht zudem vor, eine Bundesoberbehörde einzuführen, die abschließend über die Versuche entscheidet. Auch das ist allerdings umstritten.
Im Hinblick auf die Kritik, dass ein vergleichsweise Gesunder nicht abschätzen könne, wie er im Falle der schweren Krankheit behandelt werden möchte, verweisen manche Ethiker zudem auf bisherige Patientenverfügungen, in denen genau dies verlangt wird.
Gibt es bereits ähnliche Regelungen?
2004 gab es in Deutschland eine ähnliche Diskussion. Damals wurde entschieden, dass Minderjährige an klinischen Studien teilnehmen dürfen – auch, wenn sie selbst nicht unmittelbar von der Forschung profitieren.
Quelle: Spiegel jme/AFP