Es beginnt mit Gedächtnislücken und Sprachproblemen. Die Kranken werden orientierungslos und können sich nicht mehr erinnern. Schließlich verlieren sie ihre Selbstständigkeit und erkennen ihre Angehörigen nicht mehr. Jahr für Jahr erhalten in Deutschland rund 300.000 Menschen die Diagnose Demenz oder Alzheimer. Zum Weltalzheimertag am heutigen Donnerstag machen Verbände erneut auf die Krankheit aufmerksam, die der Nervenarzt Alois Alzheimer 1906 erstmals beschrieb. Fragen und Antworten:
Was ist Alzheimer?
Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz. In Deutschland gelten der Deutschen Alzheimergesellschaft zufolge heute etwa 1,6 Millionen Menschen als demenzkrank. Ungefähr zwei Drittel davon haben Alzheimer. Die Erkrankung des Gehirns führt zum Verlust von geistigen Funktionen wie Denken, Sprache, Urteilsfähigkeit und Orientierung sowie zum Absterben oder einer starken Schädigung von Gehirnzellen vor allem in der Hirnrinde.
Welche Symptome zeigen sich?
Alzheimer beginnt mit Vergesslichkeit und mangelndem Antrieb. Im weiteren Verlauf werden die gewohnten Handlungen immer schwieriger. Der Patient vergisst häufiger Worte, wird orientierungslos und kann sich nicht mehr erinnern. Einfache Handgriffe wie das Öffnen und Schließen von Knöpfen werden unmöglich. Schließlich verliert der Patient seine Selbstständigkeit und erkennt seine Angehörigen nicht mehr. Die Störungen des Denk- und Urteilsvermögens lassen ein normales Alltagslebens immer schwieriger werden. Viele Betroffene werden misstrauisch, aggressiv oder depressiv.
Was löst die Krankheit aus?
Die genauen Ursachen sind noch nicht endgültig geklärt. Das Gehirn von Alzheimerkranken weist typische Eiweißablagerungen auf. Fehlgeleitete Stoffwechselvorgänge schädigen die Nervenzellen. Die für das Gedächtnis und die Aufmerksamkeit wichtigen Übertragungsstoffe im Gehirn können dann nicht mehr gebildet werden. In 90 Prozent der Fälle wirken genetische Faktoren, Alterungsprozesse und Vorerkrankungen des Gehirns und Umwelteinflüsse zusammen. In sehr wenigen Fällen gibt es eine rein erbliche Veranlagung.
Wer ist betroffen?
Zwar kann die Krankheit auch schon vor dem 50. Lebensjahr auftreten, das Alter ist aber unbestritten der größte Risikofaktor für Alzheimer. Etwa zwei Drittel der Betroffenen sind älter als 80 Jahre, fast 70 Prozent sind zudem Frauen. 2015 wurden mehr als 19.000 Alzheimerpatienten in Kliniken behandelt – fast doppelt so viele wie 15 Jahre zuvor.
Gibt es Aussicht auf Heilung?
Eine Heilung ist bislang nicht möglich. Durch eine rechtzeitige Therapie mit Medikamenten kann der Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit aber etwas hinausgezögert werden. Auch Verhaltens-, Musik- oder Erinnerungstherapien können die Lebensqualität der Betroffenen verbessern. Die Forschung konzentriert sich nicht nur auf Therapien, sondern auch auf die Früherkennung. Denn die Krankheit wird meist erst erkannt, wenn die geschädigten Hirnzellen unwiederbringlich verloren sind. Eine verlässliche Methode zur Früherkennung würde die Chance erhöhen, den Krankheitsverlauf zumindest zu verzögern.
Kann etwas zur Vorbeugung getan werden?
Experten empfehlen geistige, körperliche und soziale Aktivitäten zur Verringerung des Risikos, an Alzheimer zu erkranken. Empfohlen wird auch eine ausgewogene sowie fett- und cholesterinarme Ernährung mit viel Obst und Gemüse sowie die Behandlung von Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen und Diabetes. Untersuchungen zeigten, dass die Zunahme der Erkrankungen in manchen Ländern nicht mehr so groß ist wie erwartet. Als Grund dafür werden eine gesündere Lebensweise und rege Hirnaktivität vermutet.
Was sind die Prognosen für die Zukunft?
Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Demenzkranken Schätzungen zufolge auf etwa drei Millionen nahezu verdoppeln, sofern kein Durchbruch in der Prävention und Therapie gelingt.
Die Zahl der Pflegebedürftigen ist seit Jahresbeginn deutlich angestiegen. Bei den Pflegekassen waren vergangenes Jahr 2,75 Millionen Männer und Frauen registriert. Ende Juni 2017 waren es 3,1 Millionen und damit 350.000 Menschen oder 12,9 Prozent mehr.
Das geht aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Anfrage der Linke-Bundestagsfraktion hervor, wie die „Passauer Neuen Presse“ vom Dienstag berichtet.
Gegenüber 1999 ist die Zahl der Pflegebedürftigen um mehr als die Hälfte (54 Prozent) gestiegen, vor acht Jahren lag sie bei zwei Millionen. Wie aus der Antwort des Ministeriums hervorgeht, werden heute auch deutlich mehr Menschen ausschließlich zu Hause von ihren Angehörigen versorgt. Hier stieg die Zahl von einer Million im Jahr 1999 auf 1,4 Millionen im Jahr 2015. Die Hälfte der Pflegebedürftigen wurde 2015 daheim betreut.
Fast doppelt so viele Pfleger wie zur Jahrtausendwende
Seit 1999 hat auch das Pflegepersonal erheblich zugenommen. Bei ambulanten Pflegediensten waren 1999 183.000 Menschen beschäftigt, 2015 waren es 355.000, also fast doppelt so viele. In Pflegeheimen stieg die Zahl der Beschäftigten von 441.000 auf 730.000.
Die Linksfraktion sieht im starken Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen ein Alarmsignal: „350.000 pflegebedürftige Menschen mehr in sechs Monaten offenbaren einen gewaltigen politischen Handlungsbedarf“, sagte Vizefraktionschefin Sabine Zimmermann der „Passauer Neuen Presse“.
Heime verhängen Aufnahmestopps
Die bisherige Politik setze auf Angehörige als „Ersatzpflegedienst der Nation“. „Während in Pflegeheimen Aufnahmestopps verhängt werden, weil Pflegekräfte fehlen, sollen die Angehörigen noch stärker in die Bresche springen“, erklärte die Linke-Politikerin.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz erklärte bereits am Montag, es gebe einen dramatischen Personalmangel und strukturelle Probleme. In der Altenpflege werde die Würde der Menschen „mit Füßen getreten in vielen Fällen“. Sollte er Bundeskanzler werden, wolle er einen „Neustart in der Pflege“ initiieren – und zwar innerhalb der ersten 100 Regierungstage. Nötig seien mehr Personal in der Pflege, eine bessere Bezahlung der Pfleger und mehr Plätze für Pflegebedürftige.
Die genaue Diagnose der Alzheimer-Krankheit (Morbus Alzheimer) ist nicht einfach. Ein spezielles bildgebendes Verfahren kann die typischen Ablagerungen, Plaques genannt, nachweisen – es wird jedoch nicht überall angeboten, belastet den Körper des Patienten mit radioaktiver Strahlung und ist zudem sehr teuer.
Teile der Ablagerungen und Abbauprodukte aus dem nervenzerstörenden Prozess der Erkrankung lassen sich zwar auch in der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit der Patienten finden; die Entnahme dieser Flüssigkeit ist jedoch ein ziemlich starker Eingriff mit entsprechenden Risiken. Forscher sind daher auf der Suche nach einem günstigeren, weniger oder gar nicht invasiven Diagnosemittel. Wissenschaftler um Prof. Cheng am Neurologischen Institut der Medizinischen Universität Tianjin in China untersuchten daher eine weitere Quelle für Hinweise auf eine Alzheimererkrankung: den Urin. Dort lässt sich nämlich, so wie im Gehirngewebe oder der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit, bei Alzheimerpatienten das Protein AD7c-NTP vermehrt nachweisen, das unter anderem als Auslöser für das Absterben von Nervenzellen und Fehlfunktionen der Mitochondrien, der „Kraftwerke der Zellen“, verstanden wird.
Test der Diagnose-Aussagekraft anhand Urinprobe
Um die Aussagekraft einer Diagnose anhand der Urinprobe zu testen, untersuchten die Forscher 22 Patienten, die leicht bis mäßig an Alzheimer erkrankt waren, und verglichen sie mit 8 Patienten, die unter leichter Beeinträchtigung der Denkleistung (leichte kognitive Beeinträchtigung, LKB) litten. Bei allen Patienten wurde der Zusammenhang zwischen AD7c-NTP im Urin, Ablagerungen im Gehirn und klinischen Symptomen der Alzheimererkrankung oder der leichten kognitiven Beeinträchtigung untersucht.
Mithilfe eines speziell auf Alzheimerplaques zugeschnittenen bildgebenden Verfahrens wurde die Menge der alzheimertypischen Ablagerungen bei allen Patienten gemessen. Die Konzentration des AD7c-NTP-Proteins im Urin wurde in einer Laboranalyse ermittelt. Zusätzlich wurden erste Hinweise auf eine Demenzerkrankung in der Denkleistung und Verhaltensauffälligkeiten mit zwei verschiedenen Tests überprüft.
Unterscheidung von wahrscheinlich an Alzheimer erkranken Patienten
63,6 Prozent der Alzheimerpatienten (14 von 22) und 25,0 Prozent der leicht kognitiv beeinträchtigten Patienten (2 von 8) zeigten die Alzheimerablagerungen. Die Menge des AD7c-NTP-Proteins im Urin war interessanterweise höher, wenn die Patienten Ablagerungen zeigten, als wenn dies nicht der Fall war. Anhand dieses Urinwerts ließen sich damit die Patienten, die wahrscheinlich an Alzheimer erkrankt waren, von denen unterscheiden, bei denen das sicher nicht der Fall war. Die Denkleistungs- und psychiatrischen Tests schienen bis auf einen Wert dagegen nicht mit dem Urinwert übereinzustimmen. Lediglich die bei Demenzpatienten häufige Unruhe zeigte sich bei hoher AD7c-NTP-Konzentration auch verstärkt.
Die Urinkonzentration des nervenschädigenden AD7c-NTP-Proteins zeigte demnach eine gute Vorhersage über die alzheimertypischen Ablagerungen im Gehirn und spiegelte ebenso ein Verhaltenssymptom der Alzheimerdemenz, die Unruhe, wider. Damit erlaubt dieser Wert möglicherweise eine günstige, schnelle und patientenfreundliche Diagnosealternative. Die klinische Anerkennung einer solchen Diagnostik könnte eventuell auch Patienten in frühen Stadien einer möglichen Erkrankung erkennen und ihnen schneller eine optimierte Behandlung ermöglichen.
Repräsentative ZQP-Studie zur Woche der Demenz: Viele Deutsche werden im Alltag mit Demenz konfrontiert. Etwa 50 Prozent der Bürger über 18 Jahren fühlen sich unsicher, was sie tun können, wenn ein Mensch mit Demenz Hilfe benötigt.
In Deutschland leben schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Entsprechend viele Bundesbürger sind privat damit konfrontiert. Dies unterstreicht eine aktuelle Studie der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP). Dort gaben knapp zwei Drittel (61 Prozent) der Befragten an, mindestens einen Menschen mit Demenz persönlich zu kennen oder gekannt zu haben. Jeder Zehnte (11 Prozent) unterstützt sogar einen Nahestehenden mit Demenz oder hat dies früher getan.
Aber auch im öffentlichen Raum – zum Beispiel beim Einkaufen oder in Bus und Bahn – ist das Thema Demenz offenbar präsent. Jeder Dritte Befragte (37 Prozent) erinnerte sich, innerhalb der letzten drei Monate eine Person in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu haben, bei der er sich vorstellen könnte, dass diese von Demenz betroffen war. Knapp ein Viertel von ihnen (23 Prozent) hatte dabei den Eindruck, dass die Person allein unterwegs war und nicht gut zurechtkam. Gleichzeitig sieht sich die Hälfte der Bevölkerung (50 Prozent) eher schlecht in der Lage, einem demenziell Erkrankten in einer solchen Situation zu helfen.
„Auf einen Menschen zuzugehen, der zum Beispiel verloren durch einen Supermarkt irrt, ist für viele natürlich mit Hemmungen verbunden. Man ist oft hin und her gerissen, will niemanden vor den Kopf stoßen, hat aber trotzdem das Gefühl, dass etwas nicht stimmt“, erklärt Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP. „Ich kann nur alle ermutigen, sich etwas Zeit zu nehmen, ein Gespräch zu beginnen und gegebenenfalls höflich nachzufragen, ob man helfen kann. Vielleicht gibt es gar keinen Hilfebedarf und bestehende Probleme müssen natürlich nichts mit Demenz zu tun haben. Aber viele Menschen mit Demenz sind eben auf den Mut angewiesen, dass sich andere kümmern“, so Suhr weiter.
Tatsächlich ist der Wunsch die eigene Hilfekompetenz zu verbessern, in der Bevölkerung verbreitet: So wollten 44 Prozent mehr über Umgang und Kommunikation mit Menschen mit Demenz erfahren. Bei den 18- bis 29-Jährigen waren es sogar 55 Prozent. Aber auch Wissen zu anderen Aspekten wie Vorsorge (58 Prozent) oder Therapie (53 Prozent) ist gefragt.
Daher unterstützt das ZQP die Aktion „Demenz Partner“ der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Dabei bieten bundesweit verschiedene Einrichtungen 90-minütige kostenlose Veranstaltungen an, die Kerninformationen zum Thema Demenz vermitteln. „So ein Kurs baut Berührungsängste ab und gibt Sicherheit“, ist Suhr überzeugt.
Es werden auch umfänglichere Demenz-Partner-Schulungen angeboten, die für alle interessant sein können, die sich intensiv um Menschen mit Demenz kümmern und unter anderem Hinweise suchen, wo sie Unterstützung finden. Die Studie zeigt, dass ein knappes Viertel der Befragten (24 Prozent), die Erfahrungen in der Unterstützung und Pflege eines nahestehenden Menschen mit Demenz haben, keine Unterstützungsangebote genutzt hat. Immerhin hatten 35 Prozent professionelle Pflegeberatung in Anspruch genommen, 28 Prozent Kurzzeitpflege, 27 Prozent Verhinderungspflege und 23 Prozent Tagespflege.
Die vollständige Analyse, die Adressen zu über 4.500 Beratungsangeboten bundesweit und den aktuellen ZQP-Ratgeber für Partner von Menschen mit Demenz finden Sie kostenlos auf www.zqp.de.
Methoden und Vorgehensweise der Untersuchung
In der, dieser Auswertung zugrundeliegenden, anonymen Bevölkerungsumfrage wurden mittels einer repräsentativen Stichprobe Einstellungen aus den Themenbereichen „Demenz“ und „Pflege demenzkranker Personen“ erfragt. Die Stichprobengröße beträgt 2.501 Befragte (n = 2.501). Die Befragung wurde vom 26. Juli bis 7. August 2017 durchgeführt. Als Erhebungsmethode kam die In-Home-Befragung per PC bzw. Set-Top-Box am TV-Bildschirm zum Einsatz. Anschließend wurde die Personenstichprobe nach Region, Alter, Geschlecht und Bildung gewichtet.
Über die Woche der Demenz
Vom 18. bis 24. September 2017 findet zum dritten Mal die „Woche der Demenz“ unter der gemeinsamen Schirmherrschaft des Bundesfamilienministeriums und Bundesgesundheitsministeriums statt. Sie ist zentraler Programmpunkt der nationalen Allianz für Menschen mit Demenz, die auch das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) als Kooperationspartner unterstützt. Die bundesweite Aktionswoche steht in diesem Jahr unter dem Motto „Die Vielfalt im Blick“.
In der Aktionswoche finden bundesweit zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen statt, darunter Informationstage, Workshops und Vorträge, Film- und Theateraufführungen, Tanzveranstaltungen und Gottesdienste für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Organisiert werden sie von regionalen Alzheimergesellschaften, Selbsthilfegruppen und den rund 500 lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz.
Über Demenzpartner
Seit September 2016 läuft die bundesweite Aufklärungsinitiative „Demenz Partner“. Ziel ist es, auf Demenz aufmerksam zu machen und darüber zu informieren. Jeder kann Demenz Partner werden – egal ob jung oder alt, berufstätig oder im Ruhestand, egal ob man einen Menschen mit Demenz persönlich kennt oder nicht. Voraussetzung: Demenz Partner haben einen Kurs zum Thema Demenz besucht oder bieten einen solchen an. Mittlerweile gibt es bundesweit über 16.000 Demenz Partner. Träger ist die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. Anknüpfend an die weltweite Aktion „Dementia Friends“, wird die Initiative inzwischen von einigen hundert Organisationen in ganz Deutschland unterstützt – so auch vom ZQP als Mitglied der Allianz für Menschen mit Demenz.
Pflege ist ja immer Hochleistungsarbeit, übrigens meist für alle Beteiligten. Herr K. spürt das ganz genau, er hat es bis zuletzt gespürt. Wochen zuvor war der Mann schwer gestürzt und seit diesem Tag querschnittsgelähmt; ein Pflegefall mit 100 Kilo Körpergewicht. Mindestens einmal am Tag musste man Herrn K. fortan zur Seite drehen, damit der Stuhl in eine Pappschale abfließt. Das stinkt dem Patienten, das stinkt im Zimmer, das stinkt auch den Pflegern, genauer: den Pflegerinnen.
Nur: Es muss nun mal sein; irgendwer muss es ja machen. Und wer macht es?
2015 hat ein Team um die Harvard-Professorin Ana Langer im Fachmagazin The Lancet schier unglaubliche Zahlen zusammengetragen: Die Analyse von Daten aus 32 Ländern, die etwa die Hälfte der Weltbevölkerung beheimaten, zeigt, dass Frauenarbeit als Beitrag zur globalen Gesundheitsversorgung einen Gegenwert von drei Billionen Dollar hat. Unbezahlte Arbeit von Frauen im Gesundheitsbereich, also auch die ehrenamtliche Versorgung von Angehörigen, macht etwas mehr als zwei Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts aus. Pflege ist, weltweit betrachtet, weiblich, oftmals prekär und eben auch privat. Die Öffentlichkeit hält sich raus, so gut es geht. In Deutschland werden mehr als zwei Drittel aller Menschen zu Hause gepflegt. Und streng genommen will ja eigentlich keiner so genau wissen, wie das war mit Herrn K. und seiner völlig intakten Verdauung.
Soweit die Zustandsbeschreibung. Man könnte nun die üblichen Forderungen aufstellen: Es braucht mehr Geld, mehr Anerkennung, mehr Arbeitskräfte in der Pflege. Das stimmt zweifelsohne, doch eine Kleinigkeit fehlt: Es braucht – dringend – mehr Männer!
Allein ein Blick auf die Statistik macht das deutlich: In den kommenden fünfzehn Jahren wird die Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland von 2,5 auf 3,5 Millionen Menschen ansteigen; und es ist davon auszugehen, dass weiter der Großteil zu Hause gepflegt werden will – und muss. Eine Entfeminisierung der Pflege, wie es in der Fachsprache so schön heißt, wird, ob nun gewollt oder nicht, in den kommenden Jahren dringend nötig sein; schlichtweg nur, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Und das passiert schon längst: Die Zahl der Männer in der ambulanten und stationären Pflege steigt, wenn auch nur zaghaft, seit Jahren an. Im privaten Umfeld sind immerhin ein Viertel der Pflegenden Männer. In der Öffentlichkeit sind diese Zahlen wenig bekannt, das Bild ist weiterhin starr: Pflege ist die Arbeit sich aufopfernder Frauen.
Aus Sicht eines modernen Feminismus, der sich weitaus weniger auf die Problembeschreibung als auf die Problemlösung konzentriert, wird die Frage nach Männern in der Pflege in naher Zukunft zentral werden (müssen). Denn wenn sich nicht die Männer stärker einbringen, dann werden immer mehr Frauen in der Pflege arbeiten, anstatt Berufe zu ergreifen, mit denen sie sichtbar Einfluss auf die äußere Welt nehmen. Geisteswissenschaftler nennen das die „innere“ im Gegensatz zur „äußeren“ Arbeitswelt. Die steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen könnte dazu führen, dass Frauen immer mehr in diese innere Arbeitswelt zurückgedrängt werden: Pflege, Pflege, Pflege.
Es lohnt sich daher, einem zweiten Szenario ein paar Gedanken zu schenken: Wer ernsthaft und nachhaltig Frauen den Zugang zu einer äußeren Arbeitswelt gewähren will, also Arbeit außerhalb der eigenen vier Wände, der muss Männer dazu bringen, sich in der inneren Arbeitswelt zu engagieren. Feminismus ist in puncto Arbeit ein Stück weit auch ein Tauschgeschäft, weshalb man den Begriff „Equitismus“ einführen sollte: Eine gerechtere Welt würde entstehen, wenn Arbeit und deren Anerkennung eben auch möglichst gerecht verteilt werden würde.
Es geht im theoretischen Diskurs zu dieser Frage also nicht darum, Männern ihren Kuchen des Erfolgs, also die äußere Arbeitswelt, streitig zu machen. Es geht darum, die Kuchenstücke gerecht auf alle Akteure einer Gesellschaft zu verteilen – und ja, auch die Frage zu formulieren, ob es Alternativen zu diesem Kuchen gibt. Also: Kann nicht auch die innere Arbeitswelt eine sein, in der Leistung, Erfolg und Geld zu Anerkennung führen? Oder auch: Wie kann eine Gesellschaft das Bild der weiblich-aufopfernden Pflege endlich aufbrechen?
Die Befreiung des Mannes von Rollenklischees
Die Antworten auf diese Fragen können nur dann gefunden werden, wenn Schluss ist mit dem noch immer herrschenden Vorurteil, dass feministische Debatten das Ziel verfolgten, Männer zu Verlierern degradieren zu wollen. Doch genau dieser Vorwurf ist zu erwarten: Solange Pflegearbeit die schlechtere Option ist im Vergleich zum Manager im schicken Anzug, werden Männer diese Aufgabe eher ablehnen. Und tatsächlich haben sich viele feministische Debatten in einer ausufernden Problembeschreibung verhakt, ja Feindbilder aufgebaut und verstärkt, statt konkrete Lösungen zu erarbeiten. Der Widerstand gegen viele Ideen ist auch deshalb weiterhin massiv.
Anderseits muss man eingestehen, dass der Kuchen der äußeren Arbeitswelt nach wie vor fest von Männerhänden umkrallt wird; zwar naschen Frauen immer wieder mal ein paar Krümel, aber mit Blick auf die Daten der Harvard-Autoren, auch mit Blick in deutsche Krankenhäuser und Pflegeheime, mit Blick in die Wohnzimmer alter, schwerkranker Menschen wird schnell klar, auf wessen Schultern schlecht bezahlte Gesundheitsarbeit in Deutschland und vielen Ländern dieser Erde noch immer lastet.
Weil es also ganz offensichtlich bislang nicht gelingt, Männer davon zu überzeugen, mit Frauen Anteile der äußeren gegen Anteile der inneren Arbeitswelt zu tauschen, braucht es eine alternative Strategie; eine Strategie, die diesen Tausch als Gewinn definiert; idealerweise für alle Beteiligten, Männer, Frauen, Pflegende.
Die Berufswahl „Pfleger“ gilt weithin als extrem unmännlich
Es mag ungerecht klingen, dass der Ruf nach besserer Bezahlung und höherer Anerkennung der Pflegejobs ausgerechnet dann ertönt, wenn es darum geht, Männer anzulocken. Aus pragmatischer Sicht aber muss genau das im Interesse eines modernen Feminismus sein. Noch immer sprudelt das Geld in der äußeren Arbeitswelt, noch immer wird die Produktion neuer Güter deutlich höher honoriert als die Pflege alter Menschen. Zwischenmenschliche Beziehungen sind nicht „produktiv“ nach Maßstäben des Kapitalismus; was in die Irre führt, denn es ist offensichtlich, dass der gesellschaftliche Wohlstand eines Landes ohne die unsichtbare und oftmals unbezahlte Pflegearbeit nicht zu halten wäre. Es muss gelingen, die Definition von Wert und Produktivität zu verändern – und dabei kommt es auf die Männer an.
Wer die Motivation von Männern steigern will, die innere Arbeitswelt für sich zu entdecken, muss bestehende Rollenbilder überdenken und Gewinnmöglichkeiten betonen; auch hier gilt die Idee des „Equitismus“: Eine Entfeminisierung der Pflege geht zwingend einher mit einer Befreiung des Mannes von Männlichkeitsklischees. Es ist bei Weitem nicht so, dass Männer nur von Frauen versorgt werden wollen. Insbesondere, wenn es um Ansprache, Austausch und ja, auch um die Versorgung des Intimbereichs geht. Dass dieses Anliegen aber weitgehend unbekannt und ungehört bleibt, liegt nicht selten auch an einem schier unüberwindbaren Rollenverständnis: Der Wunsch nach männlicher Pflege, aber auch die Berufswahl „Pfleger“ gilt weithin als extrem unmännlich.
Ein Mann, der täglich Menschen wäscht, sie ankleidet oder Essen anreicht, riskiert auf Dauer eine Kränkung seiner männlichen Identität. Denn er muss zupackend, fordernd, wenig intim, wenig liebevoll sein. Er riskiert Häme und Spott, und sei es nur ein nett gemeinter Satz wie: „Toll, dass du dich traust, so einen Frauenberuf zu machen – ich könnte das ja nicht.“
Genau deshalb ist wichtig, die Pflegearbeit gesellschaftlich neu zu definieren und die bekannten Geschlechtsstereotypen aufzubrechen. Das ist eine Aufgabe, die sich übrigens auch an Frauen richtet. Denn auch sie tragen Geschlechterklischees weiter.
Die Frage also, wie man die intrinsische Motivation von Männern steigern könnte, die innere Arbeitswelt nicht als Bedrohung, sondern als persönliche Chance zu sehen, liegt womöglich im eigenen Schicksal: Die Wahrscheinlichkeit, selbst einmal zum Pflegefall zu werden, ist im Zuge einer voranschreitenden Lebenserwartung deutlich gestiegen. Und wer selbst auf Pflege angewiesen ist, freut sich ungemein über Menschen, die professionell und ausgeschlafen arbeiten; und im Idealfall auch noch anständig bezahlt werden.
Gleiches gilt für den Fall, als Angehöriger eines Tages mit einem Pflegefall konfrontiert zu sein; man mag es kaum glauben, aber auch das betrifft immer wieder mal einen Mann. Je mehr Wissen also über Pflege in der gesamten Gesellschaft vorhanden ist, desto eher kann dieses Wissen im häuslichen, privaten Umfeld zum Einsatz kommen. Männer in der Pflege also arbeiten als Vorreiter für eine gleichberechtigte Welt, indem sie Gedankengrenzen sprengen – und ja, auch, indem sie andere Männer ermutigen, sich frei zu machen von dem Bild des starken Mackers, der so ziemlich alles darf, nur nicht Patienten wie Herrn K. beim Stuhlgang zu helfen.
Diese Befreiung kann sich sogar wahrhaftig großartig anfühlen: Vor Kurzem geisterten Fotos einer Werbung für Klodüfte durch das Internet. Die Variante für Frauen war in rosa gehalten, für „WC-Püppchen“ stand darauf – mit Blütenstaub. Die Variante für Männer, ganz in Blau, wurde mit dem Slogan „Für Sprengmeister“ angepriesen. Es ist genau dieser Erfahrungsschatz, ja das wunderbare Wissen über den menschlichen Körper, das man insbesondere in der inneren Arbeitswelt erlernen darf. Wer nur mal für ein paar Wochen die Chance hat, Patienten in einem Heim oder in der ambulanten Pflege zu betreuen, wird erfahren, dass auch Frauen beim Klogang wahre Sprengmeister sein können – und so mancher Mann ein WC-Püppchen.
Brigitte Fischer und Elisabeth Goebel lassen sich den Wind um die Nase wehen. Ganz so, wie es der Slogan des neuen Vereins „Radeln ohne Alter Bonn“ verinnerlicht hat. Jetzt stellten die jungen Initiatoren ihr neues Rikscha-Projekt in Bonn vor.
Zwei Rikschas stehen auf der Brüdergasse vor den geöffneten Türen von Migrapolis, des Hauses der Vielfalt . Neugierig bleiben Passanten stehen. „Was ist das hier?“, fragt eine junge Frau, die am liebsten in eines der Gefährte einsteigen würde. Nadine Dick erklärt ihr freundlich den Grund des Festes, das vor den Türen von Migrapolis stattfindet. Dick ist eine der jungen Vorstandsfrauen des im Februar gegründeten Vereins „Radeln ohne Alter Bonn“. „Wir sind davon überzeugt, das jeder in jedem Alter ein Recht auf Wind in seinem Haar hat“, sagt Dick und bedient sich damit des Slogans des noch jungen Vereins, der sich zum Ziel gesetzt hat, Senioren einen Ausflug mit der Rikscha anzubieten.
„In Dänemark gibt es das schon seit 2012“, erklärt Nadine Kuhl vom Vorstand. Sie und ihre Mitstreiter möchten Abwechslung in den Alltag von Senioreneinrichtungen und -Wohngruppen bringen. Im Margarete-Grundmann-Haus haben sie einen ersten Kooperationspartner gefunden. Weitere sollen folgen.
„Uns haben auch schon Angehörige angesprochen, ob es auch möglich ist, eine solche Fahrt zu buchen, wenn die Eltern oder Großeltern nicht im Heim leben“, erklärt Kuhl. Auch dies soll in Zukunft möglich sein. Der Verein steht ganz am Anfang. Alles ist noch möglich. Zwei Rikschas, die speziell für den Seniorentransport gedacht sind, hat der Verein bereits. Unterstützt wurden die zumeist studentischen Mitglieder von der Bonner Bürgerstiftung, der Bonner Altenhilfe sowie der Volksbank Bonn Rhein-Sieg und der Zurich Versicherung. Weitere Sponsoren sollen folgen, ebenso Piloten, wie Kuhl die Fahrer der Rikschas nennt. „Momentan haben wir etwa 20. Um das Projekt ausweiten zu können und das Ehrenamt auf viele Schultern verteilen zu können, sollen weitere folgen“, wirbt Kuhl für mehr Unterstützer, die auch bereit sind in die Pedale der Rikschas zu treten.
Angedacht ist es, über ein elektronisch gesteuertes Tool Piloten und fahrbereite Senioren terminlich zusammenzubringen. „Wir ersetzen aber keine Taxifahrten, unser Service dient der Zusammenkunft von Alt und Jung, dem Austausch und dem Freizeitbedürfnis der Senioren“, erklärt die junge Frau, die Wirtschaftspsychologie studiert.
Die Senioren sind begeistert. Elisabeth Goebel und Brigitte Fischer, die zur Einweihung des Projektes gekommen sind, machen eine Probefahrt. „Ich werde das ganz sicher auch regelmäßig nutzen“, sagt Goebel, die die Rikscha als wirklich bequem empfindet. „Das gute daran ist“, bestätigt auch Alfons Tump, „dass man vorne sitzt und den freien Blick auf die Umgebung genießen kann.“ Tump ist extra aus dem Sauerland gekommen. Seine Enkelin Rilana ist Mitglied des Vereins. „Ich bin mächtig stolz auf sie, dass sie sich für ältere Menschen einsetzt“, sagt Tump.
Banken und Sparkassen fällt das Geldverdienen mit dem Otto-Normal-Kunden derzeit schwer. Deshalb wird fleißig an den Gebühren für diverse Dienstleistungen geschraubt. Mitunter etwas zu doll, wie der Bundesgerichtshof klarstellt.
Mehrere vorformulierte Entgeltklauseln der Sparkasse Freiburg sind unwirksam und dürfen deshalb gegenüber Verbrauchern nicht verwendet werden. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden (Az.: XI ZR 590/15). Demnach weichen die nun untersagten Klauseln von der gesetzlichen Preisregelung ab, da diese nicht an den hierfür tatsächlich anfallenden Kosten ausgerichtet sind. Rechtens sind hingegen Entgelte für Hauptleistungen wie beispielsweise die Kontoführung.
Konkret ging es darum, dass das Geldinstitut ein Entgelt in Höhe von 5 beziehungsweise 7 Euro für folgende Dienstleistungen verlangte:
Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der Einlösung einer SEPA-Basis-Lastschrift bei Postversand: 5 Euro.
Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der Ausführung (bei Postversand) einer Einzugsermächtigungs-Abbuchungsauftragslastschrift mangels Deckung: 5 Euro.
Unterrichtung über die berechtigte Ablehnung der Ausführung (bei Postversand) … eines Überweisungsauftrages mangels Deckung: 5 Euro.
Dauerauftrag: Einrichtung/Änderung/Aussetzung/Löschung: 2 Euro Euro (Einrichtung und Änderung dürfen gebührenpflichtig sein)
Pfändungsschutzkonto: Privat-/Geschäftsgirokonto; Privatgirokonto: Grundpreis je angefangenen Monat: 7 Euro.
Änderung, Streichung einer Wertpapierorder 5 Euro.
Dies hielten die Verbraucherschützer der Schutzgemeinschaft für Bankkunden für rechtswidrig und klagten.
Mit Erfolg. Denn genau wie die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Karlsruhe, befand der BGH, dass Vertragspartner ihre jeweiligen Pflichten zu erfüllen haben, ohne dass sie dafür extra Geld verlangen dürfen. In der Praxis der Sparkasse Freiburg sahen die Karlsruher Richter auch eine unangemessene Benachteiligung der Bankkunden. Und dies obwohl die Sparkasse die meisten der beanstandeten Klauseln gar nicht mehr verwendet. Der BGH sah aber die Gefahr einer Wiederholung, da sich die Sparkasse zuvor zu keinem endgültigen Verzicht der umstrittenen Gebühren durchringen konnte.
Grundsätzlich erschwert die Niedrigzins- beziehungsweise Strafzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) Banken und Sparkassen das Geldverdienen. Denn diese verdienen im Grunde mit drei Dingen Geld: 1. Sie verleihen es teurer, als sie es geliehen bekommen. 2. Sie nehmen Gebühren für ihre Dienstleistungen. 3. Sie bekommen Provision, weil sie den Leuten etwas verkaufen. Da Punkt eins durch die EZB-Maßnahmen nahezu wegfällt und Punkt drei dank verbessertem Verbraucherschutz auch weniger ertragträchtig ist, konzentrieren sich die Geldinstitute vor allem auf den verbliebenen Punkt – die Gebührenerhöhung.
Banksparplan, Fondssparplan oder Bausparvertrag – das sind einige Optionen, wie Arbeitnehmer Vermögenswirksame Leistungen (VL) anlegen können. Doch welche Anlageform lohnt sich?
Zusätzlich zum Lohn oder Gehalt gibt es vom Chef ein Geldpräsent – und das Monat für Monat. Bei dem Geschenk handelt es sich um Vermögenswirksame Leistungen (VL). Das Problem: Viele Beschäftigte nutzen die VL-Leistungen nicht, erklärt Roland Aulitzky von der Stiftung Warentest in Berlin.
Aulitzky verweist auf Schätzungen, wonach über 20 Millionen Beschäftigte einen VL-Anspruch haben, es aber nur rund 13 Millionen Verträge gibt. Klar ist: Wer sich diese Sparmöglichkeit entgehen lässt, verschenkt Geld.
„Wenn es einen Zuschuss des Arbeitgebers gibt, dann liegt dieser oft zwischen 6,65 Euro und 40 Euro“, sagt Ralf Scherfling von der Verbraucherzentrale NRW in Düsseldorf. Die Höhe ist von Branche zu Branche und je nach Region unterschiedlich. Teilzeitkräfte erhalten den Zuschuss entsprechend anteilig.
Vorteil für Beschäftigte mit geringem Einkommen: Sie haben Anspruch auf eine Arbeitnehmersparzulage. Beantragt wird die Arbeitnehmersparzulage über die jährliche Steuererklärung.
Arbeitnehmer sollten sich in ihrer Firma erkundigen, ob es dieses Plus gibt. Falls die Antwort „Ja“ lautet, dann heißt es: einen Sparvertrag abschließen und eine Bestätigung dem Arbeitgeber vorlegen. Ein Überblick über die Möglichkeiten:
– Banksparplan: Schließt der Arbeitnehmer einen Banksparplan für die VL-Leistungen ab, dann zahlt er sechs Jahre ein, ein Jahr ruht der Vertrag. „Diese Option eignet sich vor allem für sicherheitsorientierte Anleger“, erklärt Scherfling. Im Fall der Insolvenz des Geldinstituts sind die Guthaben durch die gesetzliche Einlagenversicherung bis 100 000 Euro gesichert.
Neben einem Basiszins winkt am Laufzeitende in der Regel eine Prämie. Kursrisiken gibt es nicht. Allerdings ist es hier besonders wichtig, das passende Produkt auszuwählen. „Denn bei den meisten Verträgen sind die Renditen mit manchmal unter einem Prozent so gering, dass als Reiz nur der Arbeitgeberzuschuss bleibt“, sagt Aulitzky.
– Wertpapiersparen: Hier sind die Rendite-Chancen am höchsten, wie Julia Topar vom Bundesverband deutscher Banken erklärt. Der Sparer zahlt sechs Jahre ein, ein Jahr ruht der Vertrag. „Diese Variante eignet sich für alle, die sich bewusst sind, dass es am Aktienmarkt mal auf, mal ab geht“, ergänzt Scherfling. Sind die Aktienkurse nach Ablauf der sieben Jahre niedrig, kann man auf Kurserholung warten. Die Gelder sind im Falle einer Insolvenz der Kapitalverwaltungsgesellschaft als Sondervermögen geschützt.
– Bausparvertrag: Bei dieser VL-Sparoption gibt es kein Ruhejahr, die Beiträge werden sieben Jahre lang gezahlt. „Für Renditejäger ist ein Bausparvertrag nicht attraktiv, die Rendite liegt unter einem Prozent“, sagt Aulitzky. Für Geringverdiener kann sich aber ein VL-Bausparvertrag rechnen, da sie unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine staatliche Wohnungsbauprämie haben.
– Tilgungsoption: VL-Beträge können auch dazu verwendet werden, bereits vorhandene Bauspar- und Bankdarlehen zu tilgen. Dazu lässt der Kreditnehmer die VL-Zahlungen auf sein eigenes Konto überweisen. Die Bank erstellt eine Bestätigung für den Arbeitgeber, aus der hervorgeht, dass der Beschäftigte seine Beiträge zur Schuldentilgung einsetzt. „VL-Leistungen kann man sich aber auch direkt auf das Darlehenskonto überweisen lassen“, erklärt Topar. Bei Bauspardarlehen ist das oft unproblematisch, da der Kreditnehmer zumeist Sondertilgungen tätigen kann. Bei laufenden Hypothekendarlehen sollte man mit seiner Bank sprechen.
Wie hoch wird meine Rente voraussichtlich sein? Das fragen sich viele und schauen ratlos auf ihre Renteninformation. Welche Angaben diese enthält, erklärt die Deutsche Rentenversicherung Bund.
Ab dem 27. Lebensjahr bekommen Beschäftigte in der Regel einmal im Jahr ihre Renteninformation. Darin werden sie über ihre erworbenen Anwartschaften und die Höhe der künftig zu erwartenden Altersrente informiert.
Außerdem enthält die Renteninformation eine Hochrechnung der Altersrentenansprüche zum Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze.
Wichtig zu beachten: Bei den genannten Beträgen handelt es sich um Bruttowerte. Das heißt: Von dem genannten Rentenbetrag müssen noch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sowie gegebenenfalls Steuern gezahlt werden, erklärt die Deutsche Rentenversicherung Bund in Berlin. Bei der Planung ihrer Altersvorsorgen sollten Verbraucher dies berücksichtigen.
Der Bundestagswahlkampf geht in die letzte Runde. Viele Wähler haben Umfragen zufolge noch nicht entschieden, wo sie am 24. September ihr Kreuzchen machen sollen. Das „Kanzlerduell“ zwischen Angela Merkel und Martin Schulz im Fernsehen dürfte den Unentschlossenen kaum eine Hilfe gewesen sein. Im Gegenteil: In einem wichtigen Politikfeld – nämlich der Rentenpolitik – sind mögliche Unterschiede zwischen den beiden großen Parteien nun auch noch bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft.
SPD-Kandidat Schulz hatte im fast schon verzweifelten Versuch, die SPD-Linie gegenüber dem größeren Koalitionspartner abzugrenzen, der „Rente mit 70“ eine klare Absage erteilt – wohl in der leisen Hoffnung, die Kanzlerin könnte entsprechend der bisherigen CDU-Linie eine Festlegung in dieser Frage vermeiden wollen. Diese erkannte jedoch die taktische Falle sofort und legte sich ebenfalls fest: gegen eine „Rente mit 70“. Auch die kleineren Parteien sahen in der Folge gezwungen, klarzustellen: Niemand ist für die „Rente mit 70“! Dennoch wird sie wohl kommen…
Sie wird kommen, weil sie unausweichlich ist. Vielleicht nicht als Erhöhung der Regelaltersgrenze von (bald) 67 Jahren auf 70 Jahre, aber doch für einen großen Teil der arbeitenden Bevölkerung. Und sie wird nicht in der nächsten Legislaturperiode kommen und auch nicht vor dem Jahr 2030, aber im darauf folgenden Jahrzehnt.
Bis zum Jahr 2030 scheint die Finanzierung des Rentensystems weitgehend im Griff: Mit der schrittweisen Einführung der „Rente mit 67“ im Jahr 2010 durch die damalige große Koalition wurde den absehbaren Problemen der Rentenversicherung bis dahin weitgehend Rechnung getragen. Wichtigster Grund für den Handlungsbedarf: Die Deutschen leben länger und bekommen länger Rente – heute im Schnitt 17 Jahre. 1960 waren es nicht einmal zehn Jahre. Und die längere Rentenzeit muss eben finanziert werden.
Doch die größten demografischen Verschiebungen, bedingt durch die gesunkene Kinderzahl und die steigende Lebenserwartung, werden in ihren Auswirkungen auf das Rentensystem erst in den Jahren zwischen 2030 und etwa 2040 eintreten. Denn in diesen Jahren gehen die „Baby-Boomer“ in Rente, also die geburtenstarken Jahrgänge von Ende der 50er bis Anfang der 70er Jahre.
Damit verändert sich das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern, mehr Rentnern stehen weniger Beitragszahler gegenüber. Bleibt in dieser Phase das Renteneintrittsalter unverändert, sind diese Verschiebungen nur durch höhere Beiträge oder ein sinkendes Rentenniveau aufzufangen.
An diesen Fakten wird keine zukünftige Bundesregierung vorbeikommen. Dennoch ist das Thema „Renteneintrittsalter“ natürlich im Wahlkampf ein sehr undankbares. Für eine ehrliche Bestandsaufnahme wird es kaum Anerkennung geben, umso mehr Beifall dagegen für populistische Aussagen „zugunsten“ der Rentner. Die Wählergruppe der Rentner wird immer größer, und irgendwann möchten auch die jüngeren Wähler den Ruhestand genießen – und zwar möglichst früh. Die kommenden Generationen sind dagegen an der Wahlurne unterrepräsentiert.
Es ist bekannt, dass die in der Regel unpopulären Reformen der Sozialsystems sich leichter in wirtschaftlich schlechten Zeiten durchsetzen lassen, denn dann sind die Bürger empfänglicher für ökonomische Notwendigkeiten. In der derzeit guten Konjunkturlage mit hoher Beschäftigung und vollen Sozialkassen ist die Notwendigkeit eines höheren Renteneintrittsalters in der Zukunft dagegen kaum plausibel zu vertreten.
Daraus darf aber nicht folgen, dass man im Wahlkampf gegen besseres Wissen Versprechungen macht, die man später nicht wird einhalten können. Das schürt nur die ohnehin schon sehr hohe Politikverdrossenheit. Besser wäre es gewesen, darauf zu verweisen, dass das Thema heute nicht entschieden werden muss. In der kommenden Legislaturperiode kann eine Kommission eingesetzt werden, die die besten Lösungen für die ab 2030 anstehenden Probleme entwirft und zur politischen Diskussion stellt. Solch eine Debatte eignet sich nicht für den Wahlkampf, denn sie befördert populistische Positionen.
Das Ergebnis der notwendigen Diskussionen muss im Übrigen nicht die „Rente mit 70“ für alle sein, im Sinne einer verpflichtenden Anhebung der Regelaltersgrenze um drei Jahre. Es muss aber die Öffnung des Rentenalters nach oben sein, mit einer Verpflichtung zum längeren Arbeiten für die Mehrzahl der Arbeitnehmer. Viele werden dies auch freiwillig tun. Für diejenigen, die es aus Gründen körperlicher oder psychischer Probleme nicht können, müssen adäquate Lösungen gefunden werden, die ungebührliche Benachteiligungen vermeiden.
Es ist auch durchaus denkbar, im Sinne des Vorschlages des Sachverständigenrates von einer festen Altersgrenze zu einer flexiblen zu wechseln, die sich an der Verlängerung der Lebenserwartung orientiert. Es müsste den Menschen plausibel zu machen sein, dass zumindest ein Teil der gewonnenen Lebenszeit arbeitend verbracht werden muss, um den anderen Teil nicht nur auf Kosten der nachwachsenden Generationen zu genießen.
Insgesamt ist für mich aber ganz klar: Die Rente mit 70 wird für die meisten Beschäftigten in einigen Jahren Realität sein, und die wenigsten müssen sich davor fürchten. Die Menschen könnten es sogar als positiv empfinden, wenn sie den Rentenbeginn nach ihren eigenen Vorstellungen festlegen könnten.
Quelle: xing.de,12.09.2017
Geschrieben von Stefan Bielmeier