Wer erbt? Auch Vollmacht kann Testament sein

Eigenhändig verfasste Schriftstücke können Testamente sein, auch wenn sie vom Erblasser als Vollmacht bezeichnet wurden. Das geht aus einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil des Oberlandesgerichts Hamm hervor (Az.: 10 U 64/16 OLG Hamm).

 In dem verhandelten Fall hatte die Erblasserin in einem als „Testament“ überschriebenen Schriftstück bestimmt, dass sie ihren Schwestern nach ihrem Tode das Elternhaus je zur Hälfte übertrage. In zwei wenige Tage später datierten und mit „Vollmacht“ überschriebenen Schriftstücken erteilte die Erblasserin ihrer Nichte die Vollmacht, „über meinen Bausparvertrag … über meinen Tod hinaus, zu verfügen und sich das Guthaben auszahlen zu lassen“ und „über sämtliches Vermögen, welches … auf meinem Girokonto und Ersparnissen (Sparbuch, Geldanlagen) besteht, über meinen Tod hinaus, zu verfügen“.
Beim Tode der Erblasserin belief sich das Guthaben auf den Konten bei der Volksbank und auf dem Bausparvertrag auf zusammen circa 63.400 Euro.

Zwischen den Beteiligten war unstreitig, dass die Erblasserin die Beklagte und die Mutter der Klägerin in dem als „Testament“ überschriebenen Schriftstück zu hälftigen Miterben bestimmt hat, weil das Hausgrundstück in Paderborn das wesentliche Vermögen der Erblasserin darstellte. Umstritten war aber, ob die Vollmachten als Verfügungen angesehen werden sollten, die Nichte also das Geld erben sollte.

Vor Gericht hatte die Nichte Erfolg: Die Erblasserin habe der Klägerin ihre Guthaben im Rahmen von Vermächtnissen zugewiesen, erklärten die Richter. Die beiden mit „Vollmacht“ überschriebenen Schriftstücke stellten rechtswirksame Testamente dar. Hiervon sei nach der Beweisaufnahme auszugehen. Die Formulierungen, die Klägerin solle sich die Guthaben auszahlen lassen, spreche für eine Zuwendung, so auch die Formulierung, dass sie die Zuwendung behalten solle, befand das OLG.

Quelle: ntv.de, 17.01.2018

Das geerbte Haus: Drücken Schäden die Erbschaftssteuer?

Wer eine Immobilie erbt, wird nicht selten zur Kasse gebeten. Schuld daran sind die Erbschaftsteuer und die derzeitigen Immobilienpreise. Glücklicherweise gibt es jedoch Freibeträge. So können Ehepartner bis zu 500.000 Euro steuerfrei erben, bei Kindern sind es 400.000 Euro –  von jedem Elternteil. Großeltern können ihren Enkelkindern 200.000 Euro vermachen, ohne dass der Fiskus zuschlägt.

 Bei Geschwistern, Nichten, Neffen und Lebensgefährten sinkt der steuerliche Freibetrag jedoch drastisch auf nur noch 20.000 Euro. Grundsätzlich gilt: Der Steuerfreibetrag ist umso höher, je enger die verwandtschaftliche Beziehung ist. Nur Geschwister machen hier eine Ausnahme. Ist der jeweilige Freibetrag ausgeschöpft, greifen die individuellen Steuersätze – allerdings nur für die Differenz zwischen Freibetrag und dem Wert der Erbschaft.

Wer also zu einer weniger begünstigten Freibetragsgruppe gehört, den kann im Falle einer vermachten Immobilie eine erhebliche Steuerlast treffen. Aber vielleicht weist das Haus oder die Wohnung ja ein paar gravierende Schäden auf. Könnten diese dann nicht die Steuerlast drücken? Schließlich werden Nachlassverbindlichkeiten in Form von Schulden des Erblassers ja auch vom Gesamtwert des Nachlasses abgezogen.

Die Antwort lautet leider nein, wie der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Urteil entschieden hat (Az.: II R 33/15). Demnach sind Schäden und Mängel am Haus nicht als Nachlassverbindlichkeiten abziehbar. In dem verhandelten Fall versuchte ein Erbe mit den Kosten für Reparatur und Schadenbeseitigung aufgrund einer noch zu Lebzeiten des Erblassers falsch betankten Ölheizung seine Erbschaftsteuer zu drücken.

Doch dies ist laut BFH nur dann möglich, wenn eine gesetzliche oder privatrechtliche Verpflichtung zur Mängelbeseitigung gegenüber dem Erblasser bestanden hat. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn dieser Eigentümer einer vermieteten Immobilie und zu einer Mängelbeseitigung gegenüber seinen Mietern verpflichtet war. Nehmen die Mieter dann den neuen Eigentümer für die Beseitigung des Mangels in Anspruch, kann dies als Nachlassverbindlichkeit gewertet werden.

Ansonsten bleibt Erben, die das Gefühl haben, dass der steuerlich relevante Wert ihrer Immobilie vom Finanzamt zu hoch angesetzt wurde, nur, ein Sachverständigengutachten über den Verkehrswert der Immobilie einzuholen. Mitunter kommt dieses dann zu dem Schluss, dass etwaige Schäden den Wert der Erbsache mindern, was dann unmittelbar eine geringere Erbschaftssteuer zu Folge hätte.

Quelle: ntv.de, 03.01.2018

Rechnungen, Belege, Verträge! Wann Unterlagen in den Schredder können

Im Schrank türmen sich Aktenordner, vollgestopft mit Unterlagen. Höchste Zeit, einmal für Ordnung zu sorgen. Beim Aussortieren sind Verbraucher dann aber oft unsicher: Was müssen sie eigentlich wie lange aufbewahren? Und was können sie bedenkenlos entsorgen? Was in dem Fall bedeutet: schreddern. Denn auf den Unterlagen sind oft sensible personenbezogene Daten verzeichnet.

Kassenbons

Sie nicht nur Belege über den Zahlvorgang. Kassenbons sind auch ein Nachweis dafür, von wem konkret etwas gekauft worden ist – und wann. „Dies könnte wichtig werden, wenn innerhalb der zweijährigen Gewährleistungspflicht Reparaturansprüche geltend gemacht werden müssen“, sagt Annabel Oelmann von der Verbraucherzentrale Bremen. Sie rät, Zahlungsbelege mindestens drei, besser vier Jahre aufzubewahren.

Oft setzen auch Garantieleistungen von Herstellern oder Händlern voraus, dass man den Kauf der Ware belegen kann. Behauptet zum Beispiel ein Vertreter eines Inkassobüros, man habe etwas gekauft, aber noch nicht bezahlt, ist der Verbraucher in der Beweispflicht. Er muss dann belegen, dass die Forderung bereits beglichen ist. Das kann zum Problem werden, wenn der Kassenbon weg ist. „Die nachträgliche Beschaffung von Belegen ist, wenn überhaupt möglich, zeitaufwendig und oft auch mit Kosten verbunden“, sagt Oelmann. Lässt sich die Zahlung nicht nachweisen, muss man unter Umständen noch mal zahlen.

Kontoauszüge

Privatpersonen sind gesetzlich nicht grundsätzlich verpflichtet, ihre Kontoauszüge aufzubewahren. Darauf weist Tanja Beller vom Bundesverband deutscher Banken hin. Dennoch sollte man nach ihren Angaben Kontoauszüge einige Jahre behalten – mindestens für die dreijährige Verjährungsfrist, die für Alltagsgeschäfte gilt. So können Privatleute im Zweifelsfall beweisen, dass ein bestimmter Betrag abgebucht wurde und die Forderung somit erledigt ist.

Auch für Kontounterlagen gibt es keine einheitlichen Fristen. Trotzdem macht es bei einem auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Kontovertrag Sinn, diesen dauerhaft aufzubewahren So weiß man im Fall von späteren Forderungen, welche Rechte und Pflichten vereinbart wurden. Gleiches gilt für Darlehensverträge.

Für Besserverdienende gilt: „Hat jemand Einkünfte von mehr als 500.000 Euro im Jahr, muss er Kontoauszüge sechs Jahre aufbewahren“, sagt Beller. Unternehmer sind zur Buchhaltung verpflichtet und müssen die gesetzliche Aufbewahrungsfrist für Unterlagen von zehn Jahren beachten.

Rechnungen

Handwerker-Rechnungen sollten Verbraucher aufbewahren, solange sie Ansprüche gegen den Betrieb geltend machen können. Für Werkverträge mit Handwerkern gelten besondere Verjährungsfristen. Für Gewährleistungsansprüche sind das zwei Jahre. „Wenn Bauarbeiten in Auftrag gegeben wurden, kann die Gewährleistungspflicht sogar fünf Jahre betragen“, erklärt Oelmann.

Steuerunterlagen

Wurden dem Finanzamt Rechnungen und sonstige Belege vorgelegt und ist der Steuerbescheid in Ordnung, dann müssen diese Unterlagen für den Fiskus nicht mehr archiviert werden. „Gibt der Steuerzahler seine Steuererklärung elektronisch ab, dann muss er die Belege bis zur Bestandskraft des Steuerbescheids aufbewahren“, sagt Isabel Klocke vom Bund der Steuerzahler in Berlin. Wer zum Beispiel die Kosten für die Berufsbekleidung bei der Steuer absetzen will, muss den Kassenbon also vorläufig aufheben.

Allzu tief brauchen Steuerzahler Ordner mit solchen Belegen aber nicht weglegen. Denn ein Steuerbescheid wird meistens einen Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheides bestandskräftig.

Eine neue Regel gilt für Spendenbescheinigungen: Für Spenden, die seit dem 1. Januar 2017 geleistet wurden, muss der Spendennachweis nicht mehr der Einkommensteuererklärung beigefügt werden. Allerdings: Auf Anforderung muss die Bescheinigung dem Finanzamt präsentiert werden. „Dafür muss der Steuerzahler die Bescheinigungen mindestens ein Jahr nach Bekanntgabe des Steuerbescheids aufbewahren“, erklärt Klocke.

Versicherungsunterlagen

Sie sollten so lange aufbewahrt werden, wie der Versicherungsvertrag gilt. „Am wichtigsten sind hier der Versicherungsschein und der Antrag“, erklärt Mathias Zunk vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin. Kunden müssen die Police ihrer Versicherung präsentieren können, wenn sie nachweisen müssen, dass sie bezugsberechtigt für Leistungen aus dem Versicherungsvertrag sind. Ist die Versicherung gekündigt oder abgelaufen, können die Unterlagen geschreddert werden.

Zunk rät aber davon ab, Belege vorschnell zu entsorgen. Sie könnten beispielsweise noch für die Steuererklärung benötigt werden – oder erbrechtlich von Belang sein. Das gilt zum Beispiel für Auszahlungen von Renten- und Lebensversicherungen.

Quelle: ntv.de, 20.12.2017

Steuererklärung 2018 – Gesundheitskosten bündeln und absetzen

Kosten für Zahnersatz, Brillen oder Kuren können die Steuerlast senken. Denn diese Ausgaben erkennt das Finanzamt als außergewöhnliche Belastungen an. Voraussetzung: Die zumutbare Eigenbelastung wird überschritten.

Diese Belastungsgrenze ist unterschiedlich hoch und richtet sich nach der Höhe des Einkommens, dem Familienstand und der Anzahl der Kinder. „Dazu sollte man noch vor Jahresende einen Kassensturz machen“, rät Uwe Rauhöft, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Lohnsteuerhilfevereine (BVL).

Der Kassensturz kann sich in diesem Jahr umso mehr lohnen, denn der Bundesfinanzhof hat eine neue Rechenregel für außergewöhnliche Belastungen aufgestellt (Az.: VI R 75/14). Danach ist sie jetzt stufenweise mit dem Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte zu berechnen, der den im Gesetz ausgewiesenen Grenzbetrag übersteigt. Bei vielen Steuerzahlern wird die Grenze nun schneller überschritten.

Zum Hintergrund: Bestimmte Kosten dürfen als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden. Erst wenn die sogenannte zumutbare Eigenbelastung überschritten ist, werden die Kosten aber vom Finanzamt steuermindernd berücksichtigt.

Ein Beispiel: Ein Ehepaar mit einem Kind und einem Gesamteinkommen von 50.000 Euro muss sich eine zumutbare Eigenbelastung von 1346 Euro (bis 15.340 Euro x 2 Prozent, die darüber liegenden Einkünfte von 34.660 Euro x 3 Prozent) anrechnen lassen. Für das Ehepaar sind bis November bereits Arzt- und andere medizinische Kosten in Höhe von 1300 Euro angefallen. Im Dezember wird für die Ehefrau eine neue Gleitsichtbrille für 600 Euro bestellt und noch vor Jahresende bezahlt. Davon wirken sich 554 Euro steuermindernd aus, die beim Ehepaar beispielsweise rund 150 Euro Steuerersparnis bringen.

Wäre die Brille erst 2018 bezahlt worden und wären keine anderen größeren Kosten angefallen, hätten sich die außergewöhnlichen Belastungen weder 2017 noch 2018 steuermindernd ausgewirkt.

Quelle: ntv.de, 20.11.2017

Nachträge im Testament möglich

Handschriftliche Ergänzungen im Testament können auch wirksam ein, ohne dass sie jeweils einzeln unterschrieben wurden. Entscheidend dafür ist, dass der Erblasser eventuelle spätere Änderungen des Testaments in der Testamentsurkunde angekündigt hat. Dies geht aus einem Beschluss des Kammergerichts Berlin hervor (Az.: 6 W 97/16), über den die Zeitschrift „NJW-Spezial“ (Heft 21, 2017) berichtet. Dann kann auch ein unterschriebener, pauschaler Vermerk zu nachträglich vorgenommenen Änderungen am oberen Rand des Testaments ausreichen, um diese erkennbar zu decken.

In dem Fall ging es um den Nachlass einer Frau. Sie hatte am oberen Rand ihres Testaments mit Datum vermerkt, dass sie nachträglich Änderungen und Streichungen vorgenommen hat. Die einzelnen Änderungen hatte die Dame dann nicht unterschrieben. Ein Nachlassgericht hielt diese Änderungen wegen der fehlenden „formgültigen Unterschriften“ für unwirksam – das Kammergericht Berlin sah das anders.

Denn die Frau hatte ihr Testament eigenhändig unterschrieben und eventuelle Änderungen in der Testamentsurkunde angekündigt. So decke die ursprüngliche Testamentsunterschrift der Dame ausnahmsweise die nachträglich angebrachten Zusätze, berichtet die Fachzeitschrift. Mit der sogenannten „Oberschrift“ der Erblasserin seien diese Änderungen in diesem Fall erkennbar gedeckt.

Prinzipiell entspricht es aber der ständigen Rechtssprechung, dass Zusätze, Änderungen oder Ergänzungen einzeln zu unterschreiben sind, erläutert die Zeitschrift. Handelt es sich dagegen um Erläuterungen, Klarstellungen oder Berichtigungen, sei die erneute Unterschrift des Erblassers entbehrlich.

Grundsätzlich unterliegt die Form des letzten Willens hierzulande strengen Vorgaben. So kann ein Testament hier nur handschriftlich oder in notariell beurkundeter Form errichtet werden. Ersteres muss vom Erblasser vollständig mit eigener Hand geschrieben, mit Ort und Datum versehen und unterschrieben sein. Ansonsten ist es unwirksam. Bei Letzterem nimmt ein Notar den vom Testierenden geäußerten Willen in eine Urkunde auf. Nur im Notfall kann auch ein sogenanntes „Drei-Zeugen-Testament“ ohne diese Auflagen auskommen.

Quelle: ntv.de, 24.10.2017

Schenkung – So müssen Sie beim Vererben Ihrer Immobilie keine Steuern zahlen

Gib lieber mit warmer als mit kalter Hand. Das Sprichwort beschreibt eine der gängigsten Methoden, den Pflichtteil zu reduzieren.  Die Eltern verteilen ihr Vermögen bereits zu Lebzeiten an Menschen ihrer Wahl. Das Kalkül dahinter: Je weniger im Erbfall noch vorhanden ist, desto weniger können unliebsame Erben und der Fiskus beanspruchen.

Dabei müssen Erblasser jedoch schon früh an ihre künftigen Erben denken. Denn es gibt einen sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch. Nur Schenkungen, die mindestens zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers erfolgt sind, werden nicht ins Erbe eingerechnet. Geschenke hingegen, die der Erblasser bis zu zehn Jahre vor seinem Tod gemacht hat, werden dem Nachlass, der  für die Höhe des Pflichtteils ausschlaggebend ist, fiktiv hinzugerechnet.

Möglichst früh mit dem Schenken beginnen

Grundsätzlich wird dabei der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung berücksichtigt. Seit der Erbschaftsreform 2010 gibt es jedoch eine wichtige Änderung. Für alle Erbfälle, die nach dem 1. Januar 2010 eingetreten sind, gilt: Der anzusetzende Wert verringert sich über die Jahre. „Pro Jahr gewährt der Gesetzgeber einen Abschlag von zehn Prozent“, erklärt Romana Traichel, Fachanwältin für Erb- und Familienrecht aus München.

Wer also frühzeitig verschenkt, kann die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs über die Jahre stetig nach unten drücken. Und nach Ablauf der zehn-Jahres-Frist beträgt er im Idealfall sogar Null Euro. Wer sichergehen will, dass Schenkungen nicht mehr im Pflichtteil berücksichtigt werden, sollte deshalb früh mit dem Schenken beginnen.

Durch Schenkungen reduziert der Erblasser auch die Höhe des später zu versteuernden Erbes. Denn für Schenkungen gelten weitestgehend dieselben Steuerfreibeträge und Steuerklassen wie fürs Erbe. Einen Unterschied gibt es bei Eltern und Großeltern, deren Freibetrag bei Schenkung nur bei 20.000 Euro liegt. Zudem unterliegen sie Steuerklasse II statt I.

  • Ehepartner: 500.000 Euro (Steuerklasse I)
  • Kinder, Stief- und Adoptivkinder, Enkel, deren Eltern verstorben sind: 400.000 Euro (Steuerklasse I)
  • Enkel: 200.000 Euro (Steuerklasse I)
  • Geschwister, Kinder der Geschwister, Stiefeltern, Schwiegerkinder, Schwiegereltern, geschiedene Ehe- oder Lebenspartner: 20.000 Euro (Steuerklasse II)
  • Alle anderen: 20.000 Euro (Steuerklasse III)

Gerade wenn es um sehr hohe Summen geht, kann sich die Schenkung lohnen. Denn die Freibeträge für Schenkungen gelten alle zehn Jahre aufs Neue.

Rechenbeispiel:

Frau Schulz verfügt über ein Vermögen von drei Millionen Euro. Die möchte sie gerne ihren zwei Kindern vermachen. Würde sie das Geld auf einmal vererben, müssten die Kinder dafür zusammen 418.000 Euro Erbschaftsteuer zahlen (Bei einem Freibetrag von insgesamt 800.000 Euro müssen 2,2 Millionen Euro mit 19 Prozent versteuert werden).

Fängt sie hingegen früh genug mit Schenkungen an, kann sie die Steuerlast stark verringern. Schenkt sie etwa 20 Jahre vor ihrem Tod die maximal mögliche Summe an ihre Kinder und zehn Jahre vorher erneut, dann bleiben nur noch 1,4 Millionen Euro an Erbe übrig (Schenkungsfreibetrag: zweimal 800.000 Euro).

Abzüglich der Erbschaftsteuerfreibeträge von insgesamt 800.000 Euro fällt so nur eine Erbschaftsteuer von 90.000 Euro an (15 Prozent von 600.000 Euro). Die Kinder bekommen am Ende also fast 330.000 Euro mehr.

Tipp:

Gibt es zwei Elternteile, die jeweils über ein eigenes Vermögen verfügen, können sie ihren Kindern sogar die doppelte Summe steuerfrei schenken. Die Freibeträge gelten nämlich pro Schenkung.

Gemischte Schenkungen verringern den Pflichtteil

Es gibt auch Fälle, in denen die Zehn-Jahres-Frist nicht gilt. Die Geschenke werden dann immer berücksichtigt. „Das gilt zum Beispiel, wenn sich die Eltern gegenseitig beschenken oder ihr Geschenk mit einem Nießbrauchsvorbehalt kombinieren“, sagt Julia Roglmeier, Partnerin der auf Erb- und Familienrecht spezialisierten Kanzlei Roglmeier & Demirci.

Und das ist gar nicht so selten. Die Eltern übertragen in dieser Konstellation zum Beispiel ihr Mietshaus an die Tochter und vereinbaren zugleich, dass Vater und Mutter nach wie vor die Mieten kassieren dürfen. Damit sind sie wirtschaftlich gesehen noch immer Eigentümer.

Solche gemischten Schenkungen – also Präsente, die mit einer Gegenleistung verknüpft sind – helfen aber dennoch, den lästigen Pflichtteil zu minimieren. Der Grund: „Die Gegenleistung verringert zugleich den Wert des Geschenks und damit letztlich wieder den Pflichtteilsergänzungsanspruch“, erläutert Roglmeier.

Regel gilt für diversen Gegenleistungen

Beispiele für solche Gegenleistungen sind neben einem Nießbrauchsvorbehalt etwa Wohnrechte, Grabpflege oder die elterliche Pflege im Alter. Auch wer Rückforderungsklauseln vereinbart, schmälert den Wert seiner Gaben – zumindest sieht es das Oberlandesgericht Koblenz so (Az. 9 U 166/01). Das Haus soll zum Beispiel wieder an die Eltern zurückfallen, wenn der Sohn insolvent wird, stirbt oder sich scheiden lässt.

Gemischte Schenkungen können zudem den Schenker absichern, damit er nicht vor Ende seines Lebens ohne alles dasteht. Hat er etwa alles an seine Kinder verschenkt und verkracht sich mit ihnen, so hat er keine Möglichkeit mehr, über sein Vermögen zu bestimmen. Vermacht jemand seinen Kindern also etwa sein Haus, so sollte er überlegen, sich ein lebenslanges Wohnrecht einräumen zu lassen. Bei einem Mietshaus sollte er sich das Nutzungsrecht sichern.

Freibeträge für Erbschaften:

Bei Erbschaften gelten ähnliche Freibeträge wie bei Schenkungen. Überschreitet das Erbe den Freibetrag, gilt der jeweilige Steuersatz für jeden Euro, der über der Grenze liegt.

Diese Freibeträge und Steuerklassen gelten bei einer Erbschaft

Erbe, Erbschaftssteuer, Immobilien, Schenkung

Quelle: Bundesfinanzministerium /eigene Darstellung

So viel Steuern müssen Erben zahlen

Erbe, Erbschaftssteuer, Immobilien, Schenkung

Quelle: Bundesfinanzministerium /eigene Darstellung

 

Familienbanden lohnen sich im Bereich der Erbschaftsteuer also besonders. Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn es nicht nur um Geldvermögen geht, sondern um Immobilien. Wenn die vom Ehepartner oder den Kindern bewohnt werden und das auch noch zehn weitere Jahre lang, dann bleibt die komplette Immobilie steuerfrei.

Quelle: focus.de, 18.10.2017

Andere Länder, andere Sitten – Gilt ein Testament per nicht versandter SMS?

Wer die gesetzliche Erbfolge umgehen möchte, macht ein Testament. Dies ist wohl überall auf der Welt so. Auch in Australien. Und auch dort wird um die Gültigkeit des letzten Willens gezankt. Beispielsweise in Brisbane, vor einem Gericht.

Verhandelt wurde dort ein Fall, bei dem ein Mann kurz vor seinem Suizid seine Frau und seinen Sohn enterbt hatte. Beide waren die gesetzlichen Erben. Was für Streit sorgte, war die Tatsache, dass in dem Handy des Mannes eine nicht abgeschickte Kurznachricht an seinen Bruder gefunden wurde. In der SMS, die mit einem Smiley versehen war, erklärte der Erblasser, seinen Bruder zum Alleinerben machen zu wollen. Wörtlich heißt es dort: „Du bekommst alles, was ich habe, mein Haus und meine Pensionsansprüche.“ Über seine Frau schrieb er: „Sie ist wieder zu ihrem Ex zurück. Ich bin fertig.“ Darunter folgten die Worte „mein Testament“.

Vor allem die Tatsache, dass die Kurznachricht niemals versandt wurde, sorgte für Streit. Doch vor Gericht wurde die SMS als gültiges Testament anerkannt. Laut Urteil war die Absicht deutlich erkennbar. Die Richterin befand: „Die informelle Natur des Textes ist kein Hindernis, ihn als ausreichenden Ausdruck der Testamentsabsicht des Verstorbenen anzuerkennen“.

Stellt sich die Frage, ob dies auch hierzulande möglich wäre – sie ist mit einem klaren Nein zu beantworten. Denn in Deutschland unterliegt die Form des letzten Willens strengen Vorgaben. So kann ein Testament hier nur handschriftlich oder in notariell beurkundeter Form errichtet werden. Ersteres muss vom Erblasser vollständig mit eigener Hand geschrieben, mit Ort und Datum versehen und unterschrieben sein. Ansonsten ist es unwirksam. Bei Letzterem nimmt ein Notar den vom Testierenden geäußerten Willen in eine Urkunde auf. Nur im Notfall kann auch ein sogenanntes „Drei-Zeugen-Testament“ ohne diese Auflagen auskommen.

Quelle: ntv.de, 11.10.2017

Schutz vor Herzinfarkt und Schlaganfall: Für wen Aspirin gut ist – und für wen nicht

Acetylsalicylsäure, weltbekannt als Aspirin, vertreibt nicht nur Kopfschmerzen. Täglich in einer Mini-Dosis eingenommen, schützt es vor Herzinfarkt, Schlaganfall und vielleicht sogar vor Krebs. Umstritten ist allerdings, wer profitiert und wann die Nebenwirkungen überwiegen.

Während in Europa gerade die Nebenwirkungen von frei verkäuflichen Schmerzmitteln die Diskussion bestimmen, raten viele Mediziner jenseits des Atlantiks dazu, einen dieser umstrittenen Wirkstoffe täglich einzunehmen – als Schutz vor Herzinfarkt, Schlaganfall und sogar Krebs. Wir passt das zusammen?

Rundum-Hilfe: Acetylsalicylsäure, bekannt als Aspirin

Acetylsalicylsäure (ASS), weltweit bekannt unter dem Markennamen „Aspirin“, wirkt schmerzlindernd, blutverdünnend und entzündungshemmend. Gegen Schmerzen bedarf es einer höheren Dosierung – die entsprechenden Tabletten sollten nur kurzfristig eingenommen werden. Gegen das Verklumpen von Blutplättchen und bei Entzündungen wirkt schon die schwache Dosis von 75 bis 100 Milligramm. Jeden Tag und langfristig eingenommen, schützt dieses „Baby-Aspirin“ vor Thrombosen, Herzinfarkt und Schlaganfall. Ganz nebenbei soll das tägliche ASS auch einen Schutz vor Krebs, vor allem Darmkrebs, entwickeln.

Schützt das Herz, verursacht Blutungen

Allerdings streiten Mediziner darüber, wie groß der Aspirin-Schutz tatsächlich ist, welche Personen davon profitieren und wie viele Jahre der Wirkstoff eingenommen werden soll. Denn so unumstritten die positiven Effekte sind, so klar ist auch, dass selbst niedrige ASS-Mengen die Nieren belasten, den Magen angreifen und zu schweren Blutungen im Verdauungstrakt oder auch im Gehirn führen können.

In den USA, wo Aspirin in Großpackungen in jedem Drugstore erhältlich ist, schlucken 40 Prozent der Generation 50-plus täglich eine Aspirin-Tablette zur Vorbeugung. Ihren Arzt fragen dabei die wenigsten, ob es Sinn macht. Viele Mediziner, allen voran der weltweit bekannte David Agus, raten ohnehin allen Erwachsenen im mittleren Alter zum täglichen Baby-Aspirin: Männern über 45, um einem Herzinfarkt vorzubeugen, Frauen über 55, um einen Schlaganfall abzuwenden.

50- bis 59-Jährige mit Infarkt-Risiko profitieren von „Baby-Aspirin“

Die Mediziner der US Preventive Services Task Force grenzen die Empfehlung nun ein: Allen 50- bis 59-Jährigen raten sie, zehn Jahre lang täglich eine „low dose“ von 81 Milligramm zu nehmen – sofern es Risikofaktoren für eine kardiovaskuläre Krankheit gibt oder für Krebs, vor allem Darmkrebs. In diesem Alter überwiegen die schützenden Aspirin-Effektederen negative Begleiterscheinungen. Dagegen profitieren jüngere Nutzer zu wenig, bei Älteren kommt es zu oft zu Blutungen.

Die potenzielle Krebsprävention haben verschiedene Studien der letzten Jahre nahegelegt. Zuletzt stellte eine Studie der Harvard-Universität fest, dass nach mindestens sechs Jahren ASS-Konsum ein leicht rückläufiges Darmkrebs-Risiko feststellbar ist. Dafür würde sprechen, dass Entzündungen Krebs fördern, und niedrig dosiertes ASS eine starke antientzündliche Wirkung hat.

Skepsis gegenüber „Aspirin für alle“

Deutsche Experten sind allerdings wesentlich zurückhaltender. Für die Darmkrebs-Prophylaxe sehen die Forscher vom Deutschen Krebsforschungszentrum keine ausreichenden Beweise. Außerdem: Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und eine darmfreundliche Ernährung (viel Ballaststoffe, wenig rotes und verarbeitetes Fleisch, wenig Alkohol) können ebenso vorbeugen – ganz ohne ASS-Nebenwirkungen.

Herzmediziner, etwa von der Deutschen Herzstiftung, wollen die tägliche Ass-Dosis nur bestimmten Personengruppen zugestehen: Menschen, die schon einmal einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hatten, oder ein hohes Risiko tragen, in Zukunft einen Infarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden.

All jene, denen niedrig dosiertes ASS helfen kann, sollten sich auf jeden Fall mit ihrem Arzt absprechen und sich dann streng an die regelmäßige Einnahme halten.

Vorbeugendes Aspirin nicht eigenmächtig absetzen

Eine neue Studie der Universität Upsala hat nämlich festgestellt, dass Menschen, die schon einmal einen Herzinfarkt hatten, ein hohes Risiko für einen weiteren Infarkt haben, wenn sie das niedrig dosierte ASS absetzen. Das tun immerhin bis zu 20 Prozent der Patienten in den Jahren nach dem Herzereignis, andere nehmen das „Kardio-ASS“ nur sporadisch. Dadurch steigt die Gefahr eines weiteren Infarkts oder Schlaganfalls um fast 40 Prozent.

Bei geplanten Operationen werden Patienten oft aufgefordert, ASS eine Woche vor dem Termin abzusetzen, um die Blutgerinnung nicht zu gefährden. Viele tun es ohne Rücksprache mit dem Arzt. Dadurch kann bei einigen Menschen, die Gefahr eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls um bis zu 60 Prozent steigen. Das hat wiederum eine Untersuchung an der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf ergeben, wie die „Pharmazeutische Zeitung“ berichtet.

Nebenwirkungen, Wechselwirkungen – Aspirin ist kein Bonbon

Wer täglich Aspirin schluckt und es gut verträgt, vergisst leicht, dass es auch in niedriger Dosis mit anderen Medikamenten kollidiert. Etwa, wenn jemand Mini-ASS fürs Herz und Ibuprofen gegen akute Gelenkschmerzen einnimmt.  Beide Wirkstoffe docken an denselben Rezeptoren an, dürfen daher nur mit großem Zeitabstand eingenommen werden.

Wegen der unterschiedlichen Ergebnisse für ASS – hier gut, hier schädlich – sind Mediziner noch weit davon entfernt, eine Empfehlung für den Wirkstoff auszusprechen, die für alle gilt. Auch wenn Aspirin-Tabletten allgegenwärtig sind, es sind eben keine harmlosen Drops.

Quelle: focus.de, 05.10.2017

Personalmangel in der Altenpflege „Wir laufen auf eine Katastrophe zu“

Kurz vor der Wahl wird der Pflegenotstand zum Thema. Im Interview spricht Ökonom Stefan Sell von Niedriglöhnen und Personalmangel – und erklärt, weshalb Altenpfleger in die Gewerkschaft eintreten sollten.

Ein Interview von

Selten hat eine Bürgerfrage in einer Wahlsendung so viel Wirkung erzielt wie die von Alexander Jorde: Am 11. September konfrontierte der angehende Krankenpfleger in der ARD Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit seinem Berufsalltag. Die Würde des Menschen, laut Grundgesetz eigentlich unantastbar, werde in Wirklichkeit in Deutschland „tagtäglich tausendfach verletzt“. Es gebe einfach zu wenig Pflegepersonal.

Seitdem präsentiert vor allem die SPD Vorschläge gegen den Pflegenotstand: Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert ein Lohnplus von 30 Prozent für Altenpfleger. Parteichef Martin Schulz verspricht einen „Neustart in der Pflegestruktur“ binnen 100 Tagen und verbindliche Personalschlüssel – wofür sich auch Merkel einsetzen will.

Der Koblenzer Ökonom und Sozialwissenschaftler Stefan Sell befasst sich seit Jahren mit den Missständen in der Pflege. Er kritisiert, dass die Pflegemisere vor dem TV-Auftritt des Pflege-Azubis überhaupt keine Rolle im Wahlkampf gespielt habe und in den Programmen der Parteien stiefmütterlich behandelt werde. Tatsächlich finden sich dort – mit Ausnahme der Linken – kaum konkrete Forderungen, sondern eher unbestimmte Versprechen, sich des Themas anzunehmen.

Entsprechend skeptisch ist Sell, dass die Pflege von einer neuen Bundesregierung tatsächlich so hoch auf die Agenda gesetzt wird, wie es die Kanzlerin und ihr Herausforderer versprechen: „Darauf würde ich nicht wetten.“

  • Stefan Sell, Jahrgang 1964, ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz. Auf seinem Fachblog „Aktuelle Sozialpolitik“ setzt er sich mit den Tiefen und Untiefen der Sozialpolitik auseinander.

SPIEGEL ONLINE: SPD-Kandidat Martin Schulz verspricht einen „Neustart in der Pflegestruktur“, CDU-Kanzlerin Angela Merkel spricht von einer „großen Herausforderung“. Wie groß ist der Notstand in der Pflege wirklich?

Sell: Das kommt darauf an, was Sie mit „die Pflege“ meinen – die Altenpflege oder die Pflege in den Krankenhäusern? Das sind zwei sehr unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Strukturen und Problemen. Missstände gibt es zwar in beiden, aber in der Altenpflege laufen wir auf eine regelrechte Katastrophe zu: Bereits jetzt meldet die Bundesagentur für Arbeit einen flächendeckenden Mangel an Fachkräften. In Bremen – und nicht nur dort – dürfen einige Pflegeheime keine neuen Bewohner aufnehmen, weil sie nicht genügend Fachkräfte haben.

SPIEGEL ONLINE: Wieso ist die Situation in der Altenpflege noch kritischer als bei der Krankenpflege?

Sell: Altenpfleger verdienen im Schnitt bis zu 30 Prozent weniger als Krankenpfleger. Ein examinierter Altenpfleger – also eine versierte Fachkraft mit einer Ausbildung von mindestens drei Jahren – bekommt nur unbedeutend mehr als ein Helfer in der Krankenpflege, dessen Ausbildung ein bis zwei Jahre dauert. Diese Lohnlücke zwischen Alten- und Krankenpflege muss dringend geschlossen werden.

SPIEGEL ONLINE: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert genau das: ein Lohnplus in der Altenpflege von 30 Prozent. Dafür soll der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um einen halben Prozentpunkt steigen. Reicht das?

Sell: Ein halber Prozentpunkt klingt nach wenig, bedeutet in absoluten Zahlen aber Mehreinnahmen von 7,2 Milliarden Euro im Jahr – allein für die absolut dringendste Maßnahme. Für eine gute Pflege in beiden Bereichen werden wir insgesamt noch sehr viel mehr Geld zusätzlich ausgeben müssen. Immerhin stimmt die Finanzierungsrechnung für diese erste Maßnahme: Gesundheitsökonomen haben die Kosten für gleiche Löhne in Alten- und Krankenpflege mit 5,9 Milliarden Euro berechnet. Aber das Geld muss auch bei den Altenpflegern ankommen. Das wird absehbar nicht geschehen, wenn man sich darauf beschränkt, nur mehr Geld ins System zu geben.

SPIEGEL ONLINE: Weil die Heimbetreiber das Geld in die eigene Tasche stecken würden?

Sell: Tatsächlich werden fast die Hälfte der Heime von privatgewerblichen Trägern betrieben – also von Unternehmen, deren Zweck es ist, Gewinn zu machen. Es wäre aber falsch, die Schuld allein bei ihnen zu suchen: Sie müssen betriebswirtschaftlich denken, das hat der Gesetzgeber bewusst so entschieden. Wenn man aber ein derart sensibles Gut wie die Altenpflege schon den Kräften des Marktes öffnet, muss man die Rahmenbedingungen so setzen, dass weder die Bewohner noch die Mitarbeiter darunter leiden. Und hier liegt einiges im Argen.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Sell: Es gibt in der Altenpflege keine gesetzlich verbindlichen Personalschlüssel, sondern ein indirektes System: Abhängig vom Pflegegrad der Bewohner wird der Personalbedarf berechnet, wobei sich das von Bundesland zu Bundesland unterscheidet. Für den höchsten Grad 5 gilt derzeit zum Beispiel in Bayern ein Richtwert von 1,79 Pflegekräften pro Bewohner. Auf dieser Grundlage bekommen die Heime dann Geld von der Pflegeversicherung. In der Theorie funktioniert das, in der Praxis produzieren Sie damit aber strukturell einen Personalmangel.

SPIEGEL ONLINE: Wie kommt das?

Sell: Angenommen, Sie betreiben ein Pflegeheim mit 50 Plätzen, sind voll belegt und haben ausschließlich Bewohner im höchsten Pflegegrad. Wenn Sie nun entsprechend dem Schlüssel Pflegekräfte fest anstellen, kommen Sie schnell in ein Dilemma: sobald nämlich einige ihrer Bewohner mit dem höchsten Pflegegrad versterben und die Bewohner, die Sie neu aufnehmen, niedrigere Pflegegrade haben. Für die bekommen Sie natürlich weniger Geld aus der Pflegeversicherung – auf ihrer Gehaltsliste stehen aber immer noch so viele Pflegekräfte wie zuvor. Aus diesem Grund kalkulieren die allermeisten Betreiber ihr Personal unter dem eigentlichen Bedarf.

SPIEGEL ONLINE: Sie plädieren also für verbindliche Personalschlüssel, wie ihn jetzt sowohl Kanzlerin Merkel als auch Herausforderer Schulz ins Spiel bringen?

Sell: Ja, umso mehr, als die Pflegeversicherung eine Teilkaskoversicherung ist: Sie trägt ja nur einen Teil der Kosten, den anderen müssen die Bewohner und ihre Angehörigen selbst bezahlen – oder die Sozialämter. Ohne verbindliche Personalschlüssel ist die Versuchung für Betreiber groß, das zusätzliche Geld aus der Pflegeversicherung zum Beispiel dazu zu verwenden, die Eigenbeteiligung zu senken und sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Selbstverständlich müsste nicht nur ein allgemeiner und verbindlicher Personalschlüssel eingeführt werden. Auch die derzeitige Fachkraftquote von 50 Prozent darf auf keinen Fall abgesenkt werden, wie das die privaten Heimbetreiber gerade fordern. Und selbstverständlich müsste den Betreibern zugestanden werden, ihr Personal auch dann halten zu können, wenn sich die Bewohnerstruktur wie im eben beschriebenen Szenario ändert. Sonst sparen sie nämlich an anderer Stelle zum Nachteil von Bewohnern und Mitarbeitern.

SPIEGEL ONLINE: Steigen bei einem verbindlichen Personalschlüssel automatisch die Löhne in der Altenpflege?

Sell: Das bleibt abzuwarten. In jedem Fall würde der Bedarf an Altenpflegern noch einmal steigen – und zumindest in der ökonomischen Theorie müssten die Heimbetreiber ordentlich mehr Geld bieten, um überhaupt Personal zu bekommen. Allerdings besteht in der Altenpflege ein starkes Kräftegefälle zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen werden viele Heime von kirchlichen Trägern betrieben – und nach wie vor wird ihren Angestellten das fundamentale Recht zum Streik verwehrt. Und wo das nicht der Fall ist, sind zum anderen nur sehr wenige Pflegekräfte in einer Gewerkschaft, die gute Flächentarifverträge durchsetzen könnte. Man kann den Pflegekräften nur raten: Organisiert euch!

SPIEGEL ONLINE: Wenn es ohnehin bereits einen Fachkräftemangel gibt: Woher sollen die zusätzlich benötigten Altenpfleger denn kommen?

Sell: Die Lage ist tatsächlich schwierig, aber es gibt durchaus Potenzial: So steigt die Zahl derer, die eine Ausbildung absolvieren, auch weil einige Länder hier jüngst investiert und die Bedingungen verbessert haben – obwohl die Löhne so niedrig sind. Bei einem erheblichen Lohnplus dürften sich noch mehr Menschen für eine Ausbildung entscheiden. Außerdem arbeiten viele Pflegekräfte in Teilzeit, einige von ihnen könnten durch Anreize dazu gebracht werden, ihre Arbeitszeit zu verlängern. Viele Fachkräfte in der Altenpflege werden zudem durch eine qualifizierte Umschulung älterer Menschen gewonnen, das kann man weiter ausbauen. Und wenn das Berufsbild endlich aufgewertet wird, dann steigt auch die Ausbildungsnachfrage.

Quelle: Spiegel Online 22.09.2017

Ärzte raten zur rechtzeitigen Grippeschutzimpfung

Berlin – Mit Beginn der kühlen Jahreszeit naht die jährliche Grippewelle. Ärzteverbän­de, Kassenärztliche Vereinigungen (KV) sowie Ärztekammern raten vor allem Risiko­gruppen, sich auch in diesem Jahr impfen zu lassen. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Grippesaison: Im Winter 2016/2017 hatte das Robert-Koch-Institut mehr als 113.000 Influenzafälle registriert, mehr als 675 davon verliefen tödlich.

„Gerade ältere Menschen brauchen oft sehr lange, bis sie sich von der Infektion erholt haben“, erklärte Andreas Leischker, Impfexperte der Deutschen Gesellschaft für Geria­trie (DGG). Vor allem für ältere, chronisch kranke und immungeschwächte Menschen sowie Schwangere berge die Krankheit ein hohes Risikopotenzial. Der Berufsverband der Frauenärzte warnte, bei grippeerkrankten Schwangeren steige die Gefahr einer Frühgeburt.

Die Lan­des­ärz­te­kam­mer Hessen empfiehlt die Schutzimpfung vor allem für Risiko­gruppen. Aber auch Personen, die in Beruf oder Freizeit viel Kontakt zu anderen Menschen hätten, sollten sich impfen lassen. Da sich die Eigenschaften der Grippeviren von Saison zu Saison verändern, musste die Stammzusammensetzung der Influenza-Impfstoffe auch für dieses Jahr aus Bestand­teilen der aktuell weltweit zirkulierenden Influenza-Virustypen neu entwickelt werden. „Deshalb ist es notwendig, sich jedes Jahr gegen Grippe impfen zu lassen“, macht der Präsident der hessischen Ärztekammer, Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, deutlich.

„Es geht nicht nur um den Individual-, sondern um den Kollektivschutz“, sagte auch Wolfgang-Axel Dryden, Vorsitzender der KV Westfalen-Lippe. Je mehr Menschen gegen Grippe geimpft seien, desto schwerer könnten sich die gefährlichen Viren ausbreiten.

Laut KV Brandenburg (KVBB) sind Oktober und November die besten Monate für die Schutzimpfung. „Nach der Impfung dauert es etwa 14 Tage, bis der Körper einen ausreichenden Schutz aufgebaut hat“, verdeutlichte KVBB-Vize Andreas Schwark. Vor diesem Hintergrund hat der niedersächsische Hausärzteverband seine Mitglieder bereits vor Wochen aufgefordert, aktuelle Grippeimpfstoffe in ausreichender Menge zu bevorraten.

© hil/sb/aerzteblatt.de

Herzogsfreudenweg 1
53125 Bonn-Röttgen
Tel 0228.24 33 17 77
Fax 0228.24 94 852